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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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den Riemen loszukommen.
    Es war nicht leicht, sich zu befreien. Wieder und wieder warfen die beiden sich mit heftigem Ruck zurück. Das Bestreben des Körpers, nach fünfzehn Stunden die Qual zu beenden, wirkte ebenso stark wie der Willensentschluß, nicht in der letzten Phase noch das Gelingen des ganzen Opfers zu gefährden. Nach dem Ritus durften die Riemen nicht gelöst und die Haut nicht durchschnitten werden. Die Haut mußte zerreißen.
    Die letzten Strahlen des Sonnenballs verloschen hinter den Gipfeln. Nur ein Leuchten stand noch am Himmel, als Donner vom Berge, mit zerfetzter Brusthaut, ins Gras stürzte. Seine Augen waren geschlossen, seine Wangen eingefallen, er rührte sich nicht mehr. Der Zaubermann nahm den Riemen vom Pfahl ab, und die Krieger trugen den ruhmreichen Sonnentänzer in das väterliche Zelt.
    Dort wartete schon die Mutter, um den Sohn zu pflegen. Sitopanaki war bei Uinonah stehengeblieben.
    Stein mit Hörnern war es noch nicht gelungen, sich von dem Riemen zu lösen. Er tanzte weiter, allein. Der Dämmerschein ging in das Helldunkel der Sommernacht über. Die Sonne hatte den Opfertänzer verlassen. Er tanzte weiter, während die ersten Sterne aufschimmerten. Er wirbelte sich um den Pfahl und warf sich mit seiner großen Kraft in den Riemen. Aber die beiden Enden waren zu tief durchgezogen. Das Fleisch riß nicht, obgleich der Riemen den ganzen Tag hindurch gezerrt hatte.
    Eine Stunde hindurch tanzte Stein mit Hörnern allein den Opfertanz um den Pfahl. Die Menge wartete stumm. Irgend jemand hatte gemurmelt: »Die Sonne straft ihn. Er ist ein Lügner. Sein Leben ist verwirkt.« Die Worte begannen umzugehen.
    Uinonah legte die Hand vor den Mund und bewegte die Lippen. Sie betete ohne Laut. Sie wußte wohl, und alle, die den Opferplatz umringten, wußten, daß es einen gab, der helfen durfte: das war der Geheimnismann. Nach der Kultsitte war es ihm erlaubt, das Ende des langen Riemens vom Pfahle zu lösen, wenn der Opfernde den Tanz durchgestanden hatte und nicht bewußtlos geworden war. Der Zaubermann konnte das freigemachte Ende des Riemens einem Reiter geben, der den Opfernden daran wie an einem Lasso um den Opferplatz schleifte, bis die Haut riß. Hilfsbereite Knaben pflegten einem solchen Geschleiften auf den Rücken zu springen, um ihn zu beschweren und ihn dadurch zu befreien. Das wußte Uinonah, aber es war ihr auch quälend bewußt, daß der Zaubermann dem Opfertänzer Stein mit Hörnern nicht zu helfen gewillt war. Das Mädchen schaute nach dem Vater. Schämte sich Mattotaupa jetzt seines Sohnes, der die Probe nicht so gut zu bestehen schien wie Donner vom Berge oder den die Sonne strafte, weil er ein Lügner war? Der Vater hatte der Kriegerprobe des Sohnes nicht beigewohnt. Er erlebte nur den Schein seines Versagens mit, vor dem großen Geheimnis, vor der großen Sonne, vor drei Stämmen und ihren Häuptlingen, vor Tatanka- yotanka, vor Tashunka-witko, auch vor Schonka. Häuptling Brennendes Wasser war ein glücklicher Vater, aber Mattotaupa lächelte nicht mehr.
    Der junge Krieger am Pfahl taumelte endlich und brach in die Knie. Niemand wollte mehr glauben, daß sich dieser Sonnentänzer aus eigener Kraft würde befreien können. Er war an den Pfahl gefesselt, und wenn der Zauberer nicht eingriff, mußte er im Riemen hängen, bis die Fessel aus der Wunde herauseiterte oder bis er starb.
    Es wurde Stein mit Hörnern schwarz vor den Augen. Wie die Schmerzen seinen Körper, so wühlten aber die Gedanken seine letzten Willenskräfte auf. Ehe eine Ohnmacht ihn überwältigte und vor allen Teilnehmern des Festes demütigte, griff er an den dem Zaubermann verhaßten Wampumgürtel, dessen Botschaft er nicht durch eine Schwäche verraten wollte. Vielleicht glaubte der Zaubermann, der allein im Opferring stand und allein diese Bewegung seines Opfers sehen und deuten konnte, daß Stein mit Hörnern den Gürtel lösen und sich unterwerfen würde. Aber der Opfernde rückte den Gürtel zurecht und reckte sich noch einmal auf; seine Glieder gehorchten seinem Willen wieder. Die Knie hatten neue Kraft. Ein Laut drang aus seinem Mund. Niemand konnte ihn verstehen, denn es war ein Seminolenname.
    Donner vom Berge, der Blutsbruder des von dem Zauberer Gebannten, war, noch wankend, wieder aus dem Zelte hervorgekommen. Laut begann er ein Gebet zu singen. Die Zauberfrau der Assiniboine, Mattotaupa, Uinonah und Sitopanaki stimmten mit verhaltener Stimme ein.
    Der Opfernde vernahm den Gesang. Er sprang

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