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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Kassenraubs.«
    Der grauhaarige fuhr zusammen.
    »Verzeihen Sie, wissen Sie noch den Namen des Zirkus und das Jahr, in dem das geschehen ist?«
    Douglas übernahm die Antwort. »Frühjahr 1864. Der Zirkus hieß Myers.«
    »Mein Name ist Morris. Ich habe in Omaha im Herbst 1863 miterlebt, daß der Griff in die Zirkuskasse entdeckt wurde. Können Sie mir sagen, wie er sich aufklärte?«
    »Ein Cowboy mit Namen Jim wurde gefaßt«, erklärte Herr Finley, »ist aber in derselben Nacht wieder entflohen und untergetaucht.«
    »Was hatte es mit dem Mord an dem Inspizienten auf sich?«
    »Ein indianischer Artist mit Namen Top hat den Inspizienten erschossen und wurde ebenfalls flüchtig. Die ganze Dakotatruppe ist damals ausgebrochen und in die Wildnis geflohen.«
    »So … ach … so.«
    »Bitte …, Sie verzeihen …« Frau Finley beugte sich vor, um den Fremden anzusprechen. »Ich möchte nicht neugierig erscheinen. Aber … Ihr Name ist Morris? Sind Sie vielleicht der berühmte Maler, der sich vornehmlich Indianer als Modelle gewählt hat?«
    »Das letzte trifft zu.«
    »Dann … ist Ihre Sympathie verständlich! Von Angesicht zu Angesicht entdeckt man doch in jedem Menschen …, nun, noch etwas Menschliches. Ich erinnere mich sehr genau an diese großartige und entsetzliche Vorstellung in Minneapolis. Der Dakotahäuptling, der dann den Mord begangen hat, war eine imponierende Erscheinung.« Herr Finley, der keine imponierende Erscheinung war, warf seiner Gattin einen kritischen Seitenblick zu, den sie aber nicht wahrnahm. »Es trat damals auch ein Indianerjunge auf, sogar als Schulreiter …«
    »Ja!« rief Douglas. »Er sah aus wie der Sohn eines Lords!« Der grauhaarige Maler schien noch ernster und trauriger zu werden, als er die ganze Fahrt über gewesen war. »Was aus diesen Menschen geworden sein mag!« sagte er und machte dann eine Handbewegung, als müsse er die Worte wieder auslöschen, die zuviel von seinen Empfindungen verraten konnten.
    Douglas starrte ihn an. »Ich weiß auch noch, wie die beiden Indianer hießen. Top und Harry.«
    »Wie?!« Der Ausruf kam nicht aus dem Munde des Malers, sondern aus dem des stämmigen Herrn, der gleich dem Maler die bisherige Fahrt über schweigsam gewesen war. »Top und Harry?«
    »Gewiß.« Douglas fühlte sich nicht nur beachtet, sondern schon als Mittelpunkt des Interesses.
    »Kennen Sie diese Indianer auch?« fragte der Maler den stämmigen.
    »Ja ­ Brown ist übrigens mein Name, Joe Brown.«
    »Nun muß ich fragen: der berühmte Joe? Der Ingenieur, der hier auf dieser Strecke als Pionier gearbeitet hat?«
    »Ein Ingenieur, das stimmt.«
    Douglas war elektrisiert. »Von der vergifteten Expeditionsgruppe damals?«
    Joe Brown lächelte mit einem undefinierbaren Ausdruck. »So ist’s. War nicht weit von hier ­ der Zug fährt jetzt etwa diese Strecke.«
    »Und Sie kennen Top und Harry?« nahm der Maler das Gespräch wieder an sich. »Wann haben Sie diese beiden zuletzt gesehen, wenn ich fragen darf?«
    »Top zum letztenmal vor eineinhalb Jahren ­ Harry vor einigen Minuten. Er war der Reiter, den Douglas über die Prärie jagen sah.«
    Der Zug ratterte weiter. Als die Behelfsstation in Sicht kam, war es Abend. Douglas stand am Fenster. Da der Zug einen Bogen fuhr, sah der Junge schon von weitem die riesigen Zelte, die Bretterbuden, die Stapel von Ballen und Fässern auftauchen. Es herrschte ein lebhaftes Treiben bei diesem provisorischen Lager, das noch aus der Bauzeit stammte und als Umschlagplatz mitten in der Wildnis diente.
    Der Zug hielt auf der Station. Fenster und Türen öffneten sich, aber es stiegen nur drei Personen aus: Morris, Brown und dessen junger Begleiter, der von ihm mit »Henry« angesprochen wurde.
    Es dauerte nicht lange, bis der Zug sich wieder in Bewegung setzte. Für die Augen der Zurückbleibenden wurden Lokomotive und Wagen klein und kleiner; das Wunderwerk menschlichen Erfindungsgeistes erschien im Abenddämmer bald nur noch wie eine Schlange, dann wie eine Raupe, die sich durch die Grassteppe wand, und endlich war es ganz verschwunden.
    Morris, Brown und Henry blieben unwillkürlich zusammen. Sie hatten alle nur sehr wenig Gepäck bei sich. Der Wind blies ihnen ins Gesicht.
    Die großen Zelte bauschten sich. Staub wirbelte von dem graslosen Platze an der Station neben dem Gleis auf. Stimmen riefen, Pferdehufe trappelten, aber das alles war nichts als ein winziger Lärm in einem Meer von Stille ringsum. Von Westen her grüßten die

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