Heimkehr zu den Dakota
das Pferd anzuhalten, sondern sprang vom galoppierenden Tier ab und eilte im Lauf in die Baracke des Stationsleiters.
»Da ist etwas los!« sagte der Ingenieur. »Laßt uns einen Augenblick warten. Indianer pflegen sich mit ihren Berichten kurzzufassen. Wir gehen dann zum Stationsleiter hinein. Mein Name dürfte genügen. Er wird Auskunft geben.«
Der Indianer blieb aber doch länger in der Baracke, als Joe vermutet hatte. Das Pferd, mit dem er gekommen war, stand mit bebenden Flanken in der Nähe. Joe, Morris und Henry gingen zu dem Tier. Es war indianisch aufgezäumt, mit dem Zügel, der um den Unterkiefer befestigt war, und der Haarschlinge am Rist. Es trug weder Sattel noch Decke.
»Ich bin verrückt, oder ich erkenne diesen Mustang wieder, obwohl es Nacht ist und ich ihn viele Jahre nicht gesehen habe«, meinte Morris.
»Ich kenne ihn auch«, bemerkte Henry.
»Ich auch«, sagte Joe. »Das ist Harrys Grauschimmel.«
Die drei ließen das Tier stehen und begaben sich wieder zu der Baracke, in der der Indianer verschwunden war. Vor der Tür hielten sie an. Ein Stimme drang durch die Bretterwand heraus, eine Stimme, die lästerlich schalt und fluchte. Sonst war nichts zu hören.
Joe überlegte. »Ich gehe hinein. Vielleicht verstehe ich von dem, was hier im Busch ist, etwas mehr als dieser unausgereifte Bretterbudenchef Taylor II, den nach zuverlässigen Zeugenaussagen sowieso bald der Schlag trifft.«
Joe öffnete die Tür. Mit seinem Eintreten fauchte auch der Wind in den kleinen Raum, der von einer Petroleumlampe erleuchtet wurde. Neben einem einfachen Tisch stand der Stationsleiter. Seine Schläfenadern waren angeschwollen, seine Stirn war rot angelaufen, die Schweißperlen standen ihm am Ansatz der lockigen Haare; die Finger der rechten Hand hatte er zur Faust geballt und hämmerte damit auf die Tischplatte. Ihm gegenüber stand der Indianer. Der junge Indsman war fast zwei Meter groß, schlank; seine braune Haut wirkte im schwachen Licht der Lampe dunkel. Er hatte die schwarzen Haare geteilt und in Zöpfe geflochten, die ihm von der Schulter fielen. Eine Schlangenhaut hielt die Haare aus der Stirn. Er trug keine Feder, keine Kette, überhaupt kein Zeichen eines Sieges, eines Ranges oder einer Jagdbeute außer den Skalphaaren an den Nähten seiner ledernen Gamaschenhosen. Der Oberkörper war nackt. Im Gürtel steckten der Revolver und der Dolch.
Der junge Indianer lehnte sich an die Wand und betrachtete den zornigen Mann vor sich, wie ein Naturforscher eine neue Spielart eines altbekannten Reptils betrachtet.
»Joe Brown, Ingenieur«, stellte sich der Eintretende dem Stationsleiter vor und kreuzte gleichzeitig seinen Blick mit dem des Indianers, damit ausdrückend, daß er ihn wiedererkenne.
Der Stationsleiter verstummte, aber der Mund blieb ihm noch halb offenstehen, da er mitten im Wort abgebrochen hatte.
»Brown, Ingenieur«, wiederholte Joe.
»Wie kommen Sie denn hier herein?«
»Durch die Tür, wenn Sie erlauben, und auch wenn Sie es mir nicht erlauben.«
»Gar nichts erlaube ich! Was soll hier noch werden, wenn jeder drauflosregiert! Wir sind nicht im Kongreß, sondern auf der Union Pacific in der Prärie … Den Zug anhalten! Mann! Seid ihr alle wahnsinnig geworden! Nimm dein Pferd, du verrückter Indsman, und reite im Galopp zurück. Der Zug fährt sofort weiter!«
»Ich reite nicht zurück.«
»So möge der Teufel dich reiten, und zwar in die Hölle! Ich schicke einen ändern!« Der Stationsleiter wischte sich den Schweiß von der Stirn und wollte den Raum schnell verlassen.
Der Indianer trat ihm in den Weg. »Der weiße Mann mag …«
»Der weiße Mann mag dich nicht, du eingebildeter Bursche! Wer kommandiert denn hier, du oder ich?«
»Heute nacht wahrscheinlich ich.« Der Indianer sprach ungerührt und spöttisch, was den Stationsleiter noch mehr aufbrachte. »Scher dich aus dem Weg! Mich hier mit Gewalt festhalten und den Zug anhalten du verfluchte Rothaut!«
Joe trat zwischen den Wütenden und den Indianer. »Immer ruhig, bitte!« Er wandte sich um. »Harry, du kennst mich. Sag, hast du den Zug angehalten? Und warum?«
»Mein Vater hat sich mit Fackeln auf das Gleis gestellt und den Zug angehalten, weil die Büffel und die Dakota unterwegs sind. Die Büffel würden den Zug fest einklemmen, wenn er zwischen sie gerät, mindestens für die Nacht bis zum Morgen. Es ist besser, der Zug bleibt unbeweglich.«
Der Stationsleiter stöhnte auf. »Das ist doch alles Unsinn!
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