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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Horst heran. Er gedachte, es nicht dem Zufall zu überlassen, ob er zum Schuß kam oder nicht. Schnell kletterte er abwärts, lief mit Hilfe des Lassos am glatten Stamm ab und unterrichtete seine Gefährten. Es war keine Zeit zu verlieren, wenn der Moment, in dem die Adler des Morgens aufflogen, nicht versäumt werden sollte.
    Die drei Indianer huschten am steilen Hang entlang. Harka hatte jetzt die Führung, und er eilte so schnell vorwärts, wie es das Gelände und die gebotene Lautlosigkeit überhaupt erlaubten. Als die drei Jäger unterhalb des Felsturmes anlangten, webte schon die erste Dämmerung zwischen den Stämmen und Büschen. Der Wald lichtete sich hier. Ein Wildwasser, das im Vorfrühling herabbrauste, jetzt aber nur noch Rinnsal war, hatte in jahrhundertelanger Arbeit große Steinmassen herabgeschleppt, Stämme gebrochen und das Geröll ausgebreitet. Von diesem Geröllfeld aus mußte man einen freien Blick auf den schroffen Felsen haben. Harka winkte seinen Gefährten, mit ihm dorthin zu kommen. Die drei versteckten sich hinter einigen großen Blöcken auf dem Geröll. Harka hatte die Büchse aus der Lederhülle genommen. Sie war geladen und schußbereit. Seine Begleiter hielten Bogen und Pfeil zur Hand. Die drei lagen etwa einhundertfünfzig Meter tiefer, als sich die Spitze des Felsens erhob. Den Horst konnten sie erkennen.
    Mit schimmerndem Licht zerriß die aufgehende Sonne das Gewebe der frühen Dämmerung. Fels und Horst wurden von den Strahlen umleuchtet.
    Adlerflügel reckten und dehnten sich, mächtige Schwingen waren es. Der männliche Adler hatte am linken Flügel eine alte vernarbte Verletzung; sie wurde beim Dehnen des Flügels sichtbar. Zwei Flaumhälse und nackte Vogelköpfe mit aufgesperrten Schnäbeln erschienen über dem Nestrand. Das Adlerpaar hatte Junge.
    Die Raubvögel hatten die Menschen im Geröll, hinter den Blöcken erspäht.
    Der männliche Adler flog auf und schien von der Höhe über dem Nest sofort auf den Feind herabstoßen zu wollen. In diesem Augenblick bot der Adler den Schützen die Brust und damit das beste Ziel. Aber wenn er getroffen stürzte, stürzte er in den Horst und war dann sehr schwer zu holen. Darum drückte Harka noch nicht ab. Sobald der Adler herabzuschießen begann, war es viel schwerer, ihn tödlich zu treffen, doch Harka traute sich auch diesen Schuß zu. Anders hatte sein Nebenmann gedacht. Ohne daß Harka ihn noch hindern konnte ­ denn er hatte sich ganz auf sich selbst und seine Büchse konzentriert ­, schnellte der jüngere Absaroka den Pfeil ab. Alle diese Überlegungen und Handlungen hatten sich in Bruchteilen einer Sekunde abgespielt.
    Der Adler war tödlich getroffen. Mit dem Pfeil in der Brust stürzte er und blieb an der Felsspitze hängen, die wie ein aufgerichteter Zeigefinger über den Horst ragte. Der weibliche Adler spreizte die Flügel über die Jungen und streckte den Schnabel kampfbereit vor, blieb aber im Horst, sprang auch nicht auf den Horstrand. Harka konnte das Adlerweibchen leicht abschießen; es genügte, den Kopf zu treffen. Aber hartnäckig gedachte er den Erfolg der Jagd noch so zu erreichen, wie ihn sich die drei vorgenommen hatten. Das männliche Tier sollte abgeschossen werden, das weibliche am Leben bleiben. Harka legte also die Hand auf den Pfeil, den sein Nebenmann jetzt angelegt hatte, und bedeutete dem Absaroka damit, daß er nicht schießen sollte. Dann legte Harka die Büchse beiseite und huschte vom Geröll aus, möglichst in Deckung, in den Wald hinein. Dort lief er aufwärts bis zum Fuße des Felsturmes. Der schroffe Fels war schwer zu ersteigen, am ehesten noch von der durch die weiteren Höhenzüge geschützten Westseite. Harka hörte, wie seine beiden Gefährten die Aufmerksamkeit des weiblichen Adlers durch ungefährliche Steinwürfe auf sich zogen. Der Dakota nahm das Dolchmesser blank zwischen die Zähne, um sich notfalls sofort verteidigen zu können. Dann begann er vorsichtig den Fels von der Westseite her zu erklettern. Er wollte den toten Adler holen, ohne daß die Jungen und die Adlermutter getötet zu werden brauchten. An seiner Größe, an der Zeichnung der Federn, an der alten Flügelhautverletzung hatte Harka den Adler wiedererkannt. Das war das Tier, mit dem er als Knabe einen harten Strauß ausgefochten und mit dem er sich befreundet hatte, solange es flügellahm war. Vermutlich hatte die Unruhe des Bahnbaus das Tier verscheucht, und es hatte in den nördlichen Regionen neue Jagdgefilde und

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