Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
Horstplätze gefunden. Nun war er tot. Aber Harka wollte dafür sorgen, daß die starken Jungen aufwachsen konnten. Aus diesen Gründen, von denen seine Gefährten nichts ahnten, hielt er besonders starrsinnig am alten Jagdplan fest.
    Die Adlerjungen erspähten den herumkletternden Indianer. Sie schauten unter den Flügeln der Mutter hervor und waren voll Unruhe. Aber das Muttertier achtete nur auf die beiden Angreifer im Geröll und auf ihr Verhalten.
    Das Ersteigen des Felsens war schwierig. Das Gestein erwies sich als brüchig, und je höher Harka kam, desto weniger Halt fand er für die Finger und Zehen, und desto größer war die Gefahr, daß ein Steinchen kollerte und die Adlermutter aufmerksam wurde.
    Endlich hatte der junge Indianer den Ansatz des fingerartigen Felsens neben dem Horst erreicht. So leise und vorsichtig, als ob er einen Krieger beschleichen wollte, trat er mit den Zehen des linken Fußes auf. Mit dem rechten Fuß hatte er noch an der freien Felswand einen Tritt gefaßt. Er blieb unbeweglich und betrachtete sich den toten Adler, wie er an dem Felsenfinger hing. Zum Glück schien es nur eines geringen Anstoßes zu bedürfen, um ihn wegzuziehen. Der eine vernarbte Flügel hing zu Harka herab. Der junge Jäger hatte das Lasso griffbereit. Er faßte nach dem herabhängenden Flügel und zog den mächtigen Vogel herunter und zu sich her. Dabei lud er ihn gleich auf seinen Nacken und schlug das Lasso um die Beute und unter den Armen um seine Brust.
    Da geschah, was er gefürchtet hatte. Die Adlermutter bemerkte die Bewegung hinter ihrem Rücken und drehte sich um.
    Noch ehe sie zuhacken konnte, duckte sich Harka und benutzte, wie er vorgesehen hatte, den toten Adler als Deckschild. Der erlegte Raubvogel hing ihm mit Rumpf und ausgebreiteten Flügeln über Kopf und Schultern. Harka stieg von der Plattform ab und konnte jetzt das Adlerweibchen nicht mehr sehen; auch sie sah ihn nicht mehr. Es schien aber, daß sie voll Zorn auf den sich abwärts bewegenden toten Vogel flog, denn Harka fühlte plötzlich die doppelte Last. Doch lag der tote Adler fest auf seinem Nacken und schützte ihn.
    »Verdirb deinem toten Mann die Federn nicht, Adlerfrau«, sagte er vor sich hin. »Im übrigen kannst du mit ihm machen, was du willst.«
    Es war sehr schwierig, mit dem Gewicht im Nacken, in krummer Haltung, mit vorgebeugtem Kopf, an dem Felsen abzusteigen. Harka brauchte Minuten, um wenige Meter abwärts zu gelangen. Das Adlerweibchen flog wieder auf. Obgleich für Harka die Last auf diese Weise erleichtert war, fürchtete er mehrmals abzustürzen. Er konnte sich aber noch eben halten.
    Als er schließlich wieder Boden unter den Füßen hatte, atmete er auf. Den Adler im Nacken, die ausgebreiteten Schwingen über Schultern und Arme haltend, rannte er wie ein Vogelmensch zum Wald.
    Das Adlerweibchen stieß plötzlich herab und verfolgte ihn bis zu den ersten Bäumen, dann kehrte es wieder auf den Horst zu den Jungen zurück.
    Harka ging zweihundert Schritt weit in den Wald hinein und setzte sich zwischen Stämme und Unterholz auf den Waldboden, den Adler im Nacken, dessen Kopf über dem seinen, die ausgebreiteten Flügel über den Armen und Schultern. Er rief seine Gefährten, und als diese ihn fanden, staunten sie. Er nahm den Vogel ab, trat zurück und winkte dem, der das Tier abgeschossen hatte, es sich als Beute zu nehmen. Die Pfeilspitze mit einem Stück des abgebrochenen Schaftes steckte in der Brust.
    Aber der Schütze schämte sich, daß er voreilig gewesen war, und wollte die kostbaren Schwanzfedern Harka überlassen. Die beiden konnten sich nicht einigen, wer den Vorrang verdiene, und beschlossen endlich, den erlegten Adler ins Dorf zu bringen und die Geschichte, wie er erbeutet worden war, des Abends am Lagerfeuer zu erzählen. Die Häuptlinge und Ältesten mochten dann weise entscheiden, was mit der Beute zu geschehen habe.
    Die Adlermutter saß noch im Horst, die Flügel über die Jungen gebreitet.
    »Sie zieht zum Herbst zwei neue Kriegsadler auf«, sagte Harka.
    Die drei jungen Indianer hatten Hunger und Durst; sie waren auch müde. So zogen sie sich ein Stück weiter in den Wald zurück und schliefen zunächst bis Mittag. Dann verfolgten sie die Spur eines kleinen Bären, wurden seiner auch habhaft, machten ihm den Garaus, rösteten das Beste, was an ihm zu finden war, an einem bescheidenen Feuer und verpackten das übrige. In der hereinbrechenden Dunkelheit liefen sie noch ein Stück und ruhten wieder

Weitere Kostenlose Bücher