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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Gespräch einem anderen, weniger strengen Thema zu, dem verbreitetsten Thema an allen Lagerfeuern, das waren die Jagdgeschichten.
    Die beiden jungen Männer ließen diese Erzählungen am Ohr vorbeigleiten; sie waren mit ihren Gedanken nicht mehr im Zelt anwesend.
    In vierzehn Tagen sollten sie beide Krieger werden!
    Schon am nächsten Morgen wußte es das ganze Zeltdorf.
    Es gab niemanden, der daran zweifelte, daß die beiden Freunde, die am Tage ihres Abschieds vor sechs Jahren sich zu Blutsbrüdern gewählt hatten, die Probe bestehen und ihre Namen als Krieger erhalten würden. Aber hinter dieser ernsten und doch natürlichen, von allen mit erwartungsvoller Freude begleiteten Entscheidung stand ein großes Geheimnis. Die Anordnungen des Zaubermannes wichen von den Gewohnheiten der Stammesgruppe ab. In die Einsamkeit gehen, zu hungern und zu dürsten und das Geheimnis des eigenen Lebens dabei zu ergründen, war hei den Siksikau nicht wie bei anderen Stämmen die Vorbereitung für einen künftigen Krieger, sondern der Ritus für einen künftigen Zaubermann, der zum Denken und durch das Denken zum Herrschen über andere erzogen werden sollte. Als Kriegerprobe galt der Sonnentanz. Die jungen Männer Stark wie ein Hirsch und Harka Steinhart sollten beiden Proben unterworfen und mit der bereits errungenen Würde eines Kriegers durch den Sonnentanz gehen. Der Sonnentanz erhielt dadurch eine besondere und ungewöhnliche Weihe. Leise sprachen die Männer in den Zelten darüber. Stark wie ein Hirsch und Harka Steinhart aber sprachen nicht von diesem Geheimnis. Sie bereiteten sich stillschweigend auf die Prüfungen vor, die sie gut bestehen wollten.
    Tage und Nächte liefen dahin. Sie schienen immer schneller zu laufen, je näher der bestimmte Tag rückte. Endlich lag nur noch eine Nacht vor dem Beginn der großen Probe. Die beiden Freunde sättigten sich am Abend noch einmal und tranken mäßig von dem frischen Quellwasser. Als sie am Morgen zur Zeit der grauen Dämmerung erwachten, nahmen sie nichts mehr zu sich, sondern begaben sich nüchtern in das Zauberzelt, wo der Geheimnismann sie erwartete. Sie erhielten je einen Beutel mit Tabak und die Weisung, sich für drei Tage und drei Nächte in die Einsamkeit zu begeben und nichts zu essen noch zu trinken. So sollten sie ihre Träume erwarten und am Morgen des vierten Tages zu den Zelten heimkehren. Der Zaubermann gab jedem der beiden jungen Männer die Gegend und die Stelle an, wo er sich aufhalten sollte.
    Stark wie ein Hirsch und Harka Steinhart verließen das Zauberzelt. Die Sonne stieg eben über den östlichen Horizont empor, und in ihrem hellen und alles ringsum erfüllenden Licht machten sich die Blutsbrüder zu Fuß auf den Weg, jeder für sich, denn jeder sollte mit sich allein sein. Alle Männer, Frauen und Kinder bei den Zelten waren auf und sahen den beiden nach. Wenn auch niemand die künftigen Krieger begleiten durfte, so wanderten doch die Gedanken aller mit ihnen, manche mit starken, guten Wünschen, manche mit schwächeren und zerstreuten Wünschen, aber nicht einmal Nachtwandler, der Sohn von Kluge Schlange, durfte es vor sich selbst wagen, Harka Steinhart etwas Böses zu wünschen. Denn der Zaubermann hatte gesprochen, der Wille der Geister war erkundet, und dem mußte sich auch der junge Krieger mit dem Namen Nachtwandler fügen.
    Als Harka das Dorf hinter sich gelassen hatte und allein zwischen Wiesen, Wald und Wasser zu jener Anhöhe wanderte, die ihm der Geheimnismann bezeichnet hatte, kam eine große Ruhe über ihn, und es war ihm, als ob Krusten von ihm abfielen, so daß er sich freier bewegen, seine Züge freier spielen lassen konnte. Der Sommermorgen, an dem er mit weiten, raschen Schritten durch die Wildnis lief, war in sich vollkommen. Durchsichtig war die Luft bis hoch hinauf in das sich verdichtende Blau des Unendlichen. Der Wind strich sanft über die Gräser, über fruchttragende Halme, er spielte mit den Blättern und Zweigen am Rande kleiner Gehölze, aber die hohen Tannen spürten ihn kaum und standen regungslos im Sonnenschein. Schmetterlinge flatterten, Vögel riefen sich, Präriehunde äugten und horchten. Präriehühner, die sich im hohen Grase sonnten, blieben ruhig hocken. Harka Steinhart sah Wildfährten, aber er brauchte ihnen keine Aufmerksamkeit zu schenken. Nichts band ihn an diesem Tage. Er brauchte keine Spur zu suchen, er brauchte nicht zu lauschen, er brauchte nicht zu sprechen, und er brauchte auf keinen anderen Menschen zu

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