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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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uns allen mal so, nicht wahr? Was meinen Sie, Zimmermann, sollen wir’s dann vielleicht gleich morgen wegmachen?«
    »Ach ja, Sie haben recht, Herr Doktor, machen wir’s weg. Was weg ist, ist weg!«
    »Eben!«
    »Dann hat die liebe Seele Ruh.«
    »Das meine ich doch auch. Gut, dann reservier ich für morgen einen Tisch bei Dr. Bulgenow. Sie können sich wieder anziehen, lieber Zimmermann. Ich schaue nachher noch mal nach Ihnen. Gehen wir, von Stern?«
    »Ja … ja«, ich stehe etwas wacklig auf und zögere beim Hinausgehen, weil Zimmermann noch immer mit hängendem Kopf auf der Pritsche sitzt und sich nicht rührt, aber Holm zieht mich am Ärmel hinaus auf den Flur und sagt gutgelaunt:
    »Machen Sie sich keine Sorgen um ihn, ich habe schon nach Schwester Ananke geklingelt, sie wird ihm beim Anziehen helfen. Und im Übrigen führen Zimmermann und ich dieses Gespräch seit sechs Monaten jeden Mittag, Wort für Wort.«
    »Was? Das heißt, er hat es jedes Mal am nächsten Tag wieder vergessen?
    »Oh nein, das glaub ich nicht, er will nur immer wieder von mir hören, dass ich ihm was wegschneide, was ich natürlich nie machen würde, was er auch genau weiß und immer so weiter – klassische talking cure eben!«
    Wir lachen beide, und er legt mir vor Vergnügen den Arm um die Schulter, zieht mit der freien Hand seinen Tabaksbeutel aus der Kitteltasche, reicht ihn mir, und ich fange, noch immer lachend, an, uns Zigaretten zu drehen. Ich gebe ihm die erste und auch Feuer, er muss wieder lachen, verschluckt sich hustend, hält die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger begeistert hoch in die Luft wie eine Antenne und ruft unter Tränen:
    »Danke, Kollege – der Endverbraucher braucht halt eine Handhabe an die Hand!«

18.
    Holm läuft längst wieder seinen Pflichten nach. Ich sitze noch immer blinzelnd auf der leeren Terrasse in der Nachmittagssonne, inhaliere genüsslich die Maienluft und den Rauch der letzten, dünnen Zigarette, die ich aus den krümeligen Resten von Holms Tabak zusammengedreht habe. Im Nachhall auf die wüsten Patientenwitze, die Holm in seinem üblichen halblaut dunklen Schnurren zum Besten gegeben hat, lache ich leise in mich hinein.
    Doch das Grinsen vergeht mir plötzlich – mir fällt wieder ein, was ich den ganzen Tag über nicht aus dem Kopf, aber auch nicht richtig in ihn hinein bekommen konnte: Es ist die Tischgeschichte von Frau von Hadern, wie ihr Mann sie vor dreißig Jahren, als sie in die Klinik aufgenommen wurde, hier hoch begleitet hat und eine Woche lang bei ihr geblieben ist. Meine Maienlaune ist verflogen, obschon mir völlig unklar ist, warum diese banale Geschichte mir solches Unbehagen bereitet, aber das vergrößert meinen Verdruss nur.
    Ach könnten wir hier noch an solche Märchen wie an die gute alte Deckerinnerung glauben, dann würde ich annehmen, dies wäre eine. Aber mein Mediator lässt meinem alten Hallodrigedächtnis keinerlei Schiebereien durchgehen, und da er es bei jeder noch so kleinen harmlosen Verstellung einem peinlich humorlosen Verhör unterzieht, während er die großangelegten Betrügereien der neuen Erinnerungsbank ungestraft durchwinkt, bin ich gezwungen, anzunehmen oder eher hinzunehmen, dass meine Erinnerung an das von Frau von Hadern Gesagte nichts verdeckt, nichts Geheimnisvolleres, kein von mir selbst zensiertes, aufregenderes, skandalöses anderes Ereignis. Ja ich bin gezwungen, Frau von Haderns nichtige Geschichte wenn auch nicht für wahr zu halten, so doch für bare Münze zu nehmen in Hinsicht auf ihre Bedeutsamkeit für mich. Und das kränkt zweifellos meine Eitelkeit, die abgrundlose Nichtigkeit meiner Erinnerungen erweist die abgrundlose Nichtigkeit meiner Person, aber da die stoische Hinnahme von Erniedrigungen neben der unermüdlichen Muskel- und Dehnungsarbeit schließlich das wichtigste Trainingsprogramm der ärztlichen Arbeit an unserem gesteigerten Selbst darstellt, bin ich im Grunde vollkommen einverstanden mit dieser Kränkung, zumal sie, so offen wie sie daliegt, mir die Möglichkeit verschafft, mein mir soeben noch unerklärliches Unbehagen angesichts der Erinnerung an das gestrige Tischgespräch begreiflich zu machen: Dieses Unbehagen war nichts anderes als der anfängliche, noch unbearbeitete, unverstandene Unlustaffekt, wie er sich bei einer Kränkung unserer Eitelkeit nun einmal einstellt.
    Doch während ich diese hölzernen Ableitungen sauber zusammenzimmere und Referent nun wieder zufrieden in die Sonne blinzelt und

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