Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
gestriger Einweisung, wieder zu schimpfen und um sich zu schlagen, nennt Referenten feigen, widerlichen Voyeur seiner, des Patienten, Privatangelegenheiten, kann schließlich nur erneut mit 4 ml Optirestanol und der Androhung weiterer Besprechungen zur Räson gebracht werden. Danach wieder kooperativ und gut, nimmt friedlich und nur etwas zu besinnlich an gemeinsamem Abendessen teil.«
»Pah, saubere Geschichte haben Sie sich da auftischen lassen, was für eine Schweinerei!« Patient macht einen Satz über seinen Teppich hinweg hinüber zum Schreibtisch, pocht vor Erregung spuckend mit dem Zeigefinger auf die wachsweiche, nachgiebige Bildschirmoberfläche, doch die Dellen lösen sich in glattes Wohlgefallen auf, sobald sein Finger wieder in die Höhe fährt. »Ich sag’s ja immer, diese verrottete alte Schlampe dreht die Dinge einmal im Kreis herum, sobald sie nur den Mund aufmacht – sag ich phrygisch, sagt sie stygisch, sag ich urbi, sagt sie …«
»Jaja, soll heißen, nicht ihr Mann hat sie hier hoch begleitet, sondern sie ihn – der eigentliche Patient war ihr Mann, er ist ursprünglich hier aufgenommen worden, nicht sie, richtig?«
»Na bravo, der feine Herr Doktor Obermaus hat’s verstanden! Ich werde hier sub lege gehalten, während diese alte Schlampe natura naturatans es sich erlauben kann, mit solchen Darmverschlingungen hausieren zu gehen, das schreit zum Himmel!«
»Mhm, hmhm, und wenn ich das also richtig verstehe, hat Frau von Hadern aus welchen Gründen auch immer den Platz ihres Mannes eingenommen. Und er ist dann logischerweise …«
»… nach Atlantis gereist, ganz ohne Zwischenstopp. Na bravo, schauen Sie zu, meine Damen und Herren, die Übermaus denkt nach, sehen Sie, meine Damen und Herren, Sie sehen nichts! Das viehdumme Individuum hat seine Rechnung mit einem Milchmädchen gemacht, und da müssen wir jetzt alle durch, auch wenn wir nicht mehr wissen, was eins zu eins ist und wem die Stund …«
»Schsch … gut jetzt, Professor! Ihr Puls muss wieder runter, sodass Sie schön essen gehen können, hm?«
»Ja, immer schön, immer schön, bei mir bist du schön.«
»So ist gut, den Kopf aber wieder heben, mein Lieber. Wissen Sie was, Professor, vielleicht können Sie, wenn Sie jetzt schön brav sind, sich heute Abend nach Tisch noch ein wenig mit Herrn Zimmermann unterhalten. Ich habe ihn heute gesehen, und er erzählte mir, dass Sie beide sich öfter mal so nett unterhalten, er schwärmte regelrecht von Ihnen, Ihrer Bildung und wie interessant es sei, sich mit Ihnen –«
»Ach jetzt kommen Sie mir nicht auch noch mit diesem alten Idioten!« Er fängt wieder an zu fuchteln, versucht dabei aber nicht wie sonst, mir ins Gesicht zu schlagen, sondern patscht nur ins Leere wie ein erschöpfter Hund im Wasser. »Zimmermann! Hockt vor einem mit seinem Block und schreibt alles mit, was man sagt, dieser unterwürfige Köter!«
»Schon gut, schon gut. Wir wollen uns jetzt zusammennehmen, einverstanden?«
»Alle beide, Doktor?«
Er grinst mich halb verschlagen, halb traurig bittend an, und ich zucke kapitulierend die Achseln:
»Alle beide, ja, Sie und ich, Professor – ah, wen haben wir denn da? Da ist ja auch schon Ihr Pfleger. Guten Abend, O.W.!«
O.W. nickt mir sein übliches, perfekt abgemessenes Begrüßungslächeln zu, aber es kommt zu keiner anständigen Übergabe, denn in diesem Moment ruft es aus dem Lautsprecher Dr. von Stern dringend in Zimmer 77, bitte, Dr. von Stern bitte dringend in Zimmer 77 , und während ich mich mit rasch aufsteigendem Ärger frage, was mein Wunschsohn Evelyn nun schon wieder angestellt haben mag, bleibt mir beim Hinauseilen nur noch, mit leichter Verwirrung zu bemerken, dass O.W. es sich nun sogar schon herausnimmt, seine dünne weiße Lederkrawatte auch zum schwarzen Abendanzug zu tragen. Das muss neu sein, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass ein solch drastischer Verstoß gegen das Protokoll von mir unbemerkt geblieben wäre. Zugleich aber bin ich mir plötzlich sicher, dass er diese Krawatte immer schon rund um die Uhr getragen hat und es mir nur nie aufgefallen ist. Ich weiß nicht, welche von beiden Möglichkeiten mich mehr beunruhigt, am meisten wohl die, dass es sich gar nicht um zwei Möglichkeiten handelt, sondern um ein und dieselbe Bildstörung meines Systems.
20.
Weil ich zwei Tage lang vergessen habe, nach ihm zu sehen, hat Evelyn wieder einmal versucht, sich mithilfe seiner Krawatte an der Türklinke zu erhängen. Zwei barmherzige
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