Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Sewastopol, wenn Du Lust hast, komm doch mit, ruf mich an, F.«
Natürlich hat sie nicht geantwortet, und ich habe mich den ganzen Tag im Klinikzentrum in Sewastopol gehasst und geschämt, ließ mich schließlich dort zur Beruhigung von zwei Zwillings-Krankenschwestern oder eher zwei kranken Zwillingsschwestern gründlich fellationieren und fuhr im Morgengrauen in finsterster Stimmung zurück nach Jalta.
29.
Schlafen konnte ich nicht mehr, kurze kalte Dusche, mehr war nicht drin, brachte mich aber hinreichend zur Vernunft, und so absolvierte Referent an diesem Morgen zum ersten Mal meinen Rundgang für mich. Auf dem anschließenden Weg nach Massandra zu meinem Mentor-Monitoring murmelte ich mir unablässig Ich selbst hätte es nicht besser machen können zu und sah so einigermaßen ruhig und zuversichtlich dem Treffen mit Esther entgegen. Nur meine Hände zitterten ein wenig, aber auch das nahm ich als gutes Zeichen.
Wie immer waren die drei schon vor mir da und saßen im Lotussitz und mit geraden Rücken eng nebeneinander auf der Wiese wie ein proportional verkehrtes Triptychon, Esther schmal in der Mitte. Alle drei hatten sie ihre Aufgaben brav im Schoß liegen, die Bilder ihrer Patienten, und warteten nun darauf, ihre Auswertung dieser Bilder von mir absegnen zu lassen, sodass sie bis morgen ihre ersten Berichte in die jeweilige Krankenakte eintragen konnten. Meine Begrüßung erwiderten die beiden Jungs mittlerweile in etwas lästig kumpelhafter Manier, während Esther mir unverbindlich freundlich zulächelte, als hätte es zwischen uns keine private Veranstaltung gegeben. Für einen irren Moment spielte ich mit dem Gedanken, das Röntgenbild von ihrem Thorax, das sie mir am Montagmorgen zum Abschied geschenkt hatte, aus meiner Brusttasche zu ziehen, darauf zu pochen und dich daran zu erinnern, dass du, als du es mir gabst, lachend gesagt hast Es ist immerhin schön kopflos , und ich geantwortet habe Ja, das stimmt, es ist weitaus umgänglicher als du . Daher war ich noch nicht ganz bei der Sache, als einer der Jungs das Gespräch eröffnete, das Beweismaterial auf dem Rasen vorlegte und seinem Befund durchaus eloquent ein paar einschlägige Sätze aus dem Lehrbuch voranschickte:
»Die unterste Funktionsebene des limbischen Systems wird von Vorgängen beherrscht, die uns am Leben erhalten. Damit verbunden sind elementare Verhaltensreaktionen wie Nahrungsaufnahme, Verteidigung beziehungsweise Angriff gegen Bedrohung, Paarungsverhalten –«
»Unterstes Funktionsniveau, in der Tat!«
»Esther, bitte!« Ich schaute arrogant oder wohl eher ängstlich an ihr vorbei. »Würdest du deinen Kommilitonen ausreden lassen, bitte?«
»Und würdest du bitte meinen dämlichen Kommilitonen dazu bringen, diesen stammhirnrissigen Unsinn nicht einfach nachzubeten? Ich dachte, das hier sei ein Mentor-Monitoring, Fehlermeldung als Anleitung zum Selbstmonitoring und –«
»Für den Anfang ist der hirnstämmige Unsinn eine ganz gute Orientierungshilfe. Solange wir ihn nicht allzu wörtlich nehmen …, keiner hier glaubt wohl ernstlich, dass unser Paarungsverhalten einfach –«
»Ich paare mich nicht – du?«
»N-nein, natürlich nicht, aber –«
»Aber nicht du lässt es dir von irgendwelchen Krankenschwestern besorgen, sondern dein Hypothalamus, nehm ich an. Und falls es doch mal du selbst bist, dann ist das dein Hypothalamus, der von seinen Stirnlappen eine amtliche Sondergenehmigung bekommen hat.«
Die Jungs kicherten, doch ich antwortete vollkommen gefasst:
»Auf ein derartig schiefes Gespräch kann ich mich nicht einlassen. Alles, was du sagst, entspricht den Tatsachen und ist doch ohne jedes Wohlwollen gesprochen.«
Meine fremde Rede und der offen gekränkte Blick des stolz geschlagenen Tiers ließen Esther rot werden, und verschreckt senkte sie die Lider, die Jungs verstummten beklommen, und auch ich selbst brauchte eine Weile, um meine eigene Stimme wiederzufinden:
»Gut, können wir dann bitte fortfahren? Überspringen wir die Lehrsätze und kommen wir zu deinem Befund. Wie liest du also diese Bilder? Du hast hier ja das volle Programm, EEG und MEG, Positronenemissions- und funktionelle Kernspintomographie eines Patienten, anscheinend das gesamte Aufzeichnungsmaterial einer Untersuchung bestimmter ereigniskorrelierter Hirnpotentiale, hübsche Kurven, schöne Schnitte – also bitte, erklär uns, worum es ging und was wir hier sehen!«
»Äh …, ja, zunächst einmal sei vorausgeschickt, dass Patient im
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