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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Ruhezustand elektrophysiologisch keinerlei Auffälligkeiten aufweist, keine ungewöhnlichen Kurvenbilder, also keine Zeichen einer zerebralen Allgemeinveränderung, keine konstanten Seitendifferenzen, keine steilen Potentiale, keine –«
    »Jaja, sehr schön, weiter!«
    »Die Gruppe unter meiner Leitung hatte die Aufgabe gestellt bekommen, durch die Kombination elektrophysiologischer und räumlich bildgebender Verfahren die mentalen Repräsentationen der stark bis sehr stark melancholisch gefärbten Erinnerungsgedanken des Patienten aufzufinden, soll heißen die mentalen Repräsentationen seiner auf die Vergangenheit bezogenen, also episodischen kognitiven Prozesse, die in Relation zur Kontrollgruppe affektiv klar negativ responsiv sind, wie begleitende Hautleitreaktions- und Herzfrequenzmessungen belegen. Und das ist uns gelungen.«
    »Ihr wollt neuronale Korrelate, nein sogar die mentale Repräsentation seiner melancholischen Erinnerungstätigkeit gefunden haben, verstehe ich das richtig?«
    »Genau. Wir haben Patienten episodische Aufgaben ausführen lassen, also solche, die Gedächtnisleistungen inkludieren, und dabei gab Patient ungewöhnliche Hirnantworten. Wie wir hier sehen, ist seine Amygdala, genauer gesagt die basolaterale Amygdala, also der Ort der emotionalen Kodierung, die Zentralstelle für gut und schlecht , im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich überaktiv, was natürlich schlecht ist für den Patienten, da die Amygdala ja vorwiegend negative Statements rausgibt, das ist halt ihr Zuständigkeitsbereich, weil für das Positive in unserem Leben ja eher das mesolimbische System zuständig ist. So, wir haben also diese amygdalische Überaktivität, während seine frontalen Hirnareale andererseits, besonders der präfrontale, orbitofrontale und anteriore cinguläre Kortex eine – wiederum relational zum Kontrollpool – deutliche Unteraktivität aufweisen. Die genannten frontalen Hirnareale können daher nicht hinreichend auf die Amygdala kognitiv und emotional einwirken und deren furchterregende Signale hemmen. Die Amygdala hat also leichtes Spiel mit dem Mann, denn sie hat jahrelang all diese negativen Erfahrungen in sich angesammelt, umsichtig gespeichert und so weiter, und da es schließlich die Frage ist, ob die Amygdala überhaupt vergisst –«
    » Ich vergess mich gleich, keine Frage!«
    »Esther, bitte!« Für die Jungs mag es sich angehört haben, als schnaufte ich sie zurechtweisend an, tatsächlich aber atmete ich auf, weil sie sich wieder normal unmöglich verhielt, und ich sah, dass sie das sehr genau verstand. »Vielleicht könnten wir uns wenigstens darauf einigen, dass auch du ohne deine Amygdala nicht zu normalen negativen Affektzuständen wie Furcht und Wut –«
    »Meine Amygdala kann mich mal am Arsch lecken!«
    »Ich bin nicht sicher, ob sie das kann.«
    Endlich streckte sie die Waffen und brach in ein hell gurgelndes Kinderlachen aus, und ich wandte mich freundlich wieder ihrem Kommilitonen zu:
    »Würdest du fortfahren, bitte, und uns erklären, wie ihr über die Amygdala an die Erinnerungen des Mannes rangekommen seid – wie sah die Versuchsanlage genau aus, die euer Führungsarzt euch zur Durchführung aufgegeben hat?«
    »Zunächst sollten wir die regionale Hirnaktivität der Probanden, also des Patienten und seiner Kontrollgruppe, bei geschlossenen und dann bei offenen Augen aufzeichnen – wir sehen hier deutlich die Aktivität im primären visuellen Kortex bei offenen Augen. Danach sollten die Probanden Hauptwörter betrachten, einfach bloß draufgucken. Von den dabei aufgezeichneten Hirnpotentialen haben wir die neuronale Aktivität des bloß ungerichtet offenäugigen Sehens subtrahiert und so das neuronale Korrelat des Betrachtens eines Worts, also eines komplexen visuellen Stimulus aufgespürt, und –«
    »Ein Wort ist ein komplexer visueller Stimulus – ein visuell komplexer Stimulus, das wäre eine hinreichende Beschreibung?«
    »Äh … ja, natürlich – zunächst einmal, also heuristisch gesehen oder perzeptiv prozessual gesehen oder … nicht?«
    »Na schön, kann man so sagen. Lass mich raten, neben dem visuellen Kortex leuchten jetzt auch die Sprachzentren, Broca- und Wernicke-Areal, brav auf, ja?«
    »J-ja, genau. Die Interpretation des Befunds ist sinngemäß.«
    »Ja, das ist das Schöne an ihm – oder an ihr? Na, in jedem Fall verdienen diese zwei einander wirklich.«
    Esther ließ sich aus der Mitte des Triptychons auf den Rücken fallen, faltete die

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