Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Flasche, die ohnehin weit und für alle gut sichtbar aus der Tasche ragt, noch da ist. Aber vielleicht geht es bei diesem flinken Griff auch längst nicht mehr um solch ängstliche Versicherung, denn seit Jahrzehnten ist die Flasche da, immer da, sie war nie fort, nicht ein Mal. Vielleicht berührt er sie, deren Anwesenheit ihm sicherer sein dürfte als seine eigene, eher in der magischen Absicht, die jeweils nächste halbe Stunde seiner Existenz von ihr segnen zu lassen, oder vielleicht sogar, noch magischer, in völliger Absichtslosigkeit. »Ich dachte gerade: Essen ist mein Leibgericht. Das ist tiefsinnig, geradezu griechisch, meinen Sie nicht?«
»Ja«, sie nickt energisch schmatzend, »ich finde es auch sehr schön, dass es hier jeden Tag das jüngste Leibgericht gibt. Naja, wollen wir nicht übertreiben, so gut ist es nun auch wieder nicht. Zirbeldrüse, völlig überschätztes Gemüse, wenn Sie mich fragen.«
»So meinte ich es –«
»Jaja, ich weiß schon, Professor, aber die griechische Küche interessiert mich nicht sonderlich. Immer splendid, das muss man ihr lassen, aber am Ende des Tages doch etwas roh. Auch wenn sie dem Gehirn freilich reichlich Gelegenheit bietet, sich pausenlos mit schön vielen endogenen Opiaten zu belohnen.«
»Ach ja, das ist schon ein lustiges Kerlchen, dieses Gehirn! Hockt den ganzen Tag im Belohnungszentrum rum und belohnt sich, weiß Gott wofür …«
»Sie alter Spötter!« Sie lacht perlend auf und schüttelt dabei ausgiebig ihr schwarzlackiertes Haarungetüm, kneift dem erschrocken zusammenfahrenden Professor mit gekrümmtem Zeige- und Mittelfinger ihrer weißgepuderten Hand in die Wange. »Aber ich sage Ihnen, auf die Belohnung können auch Sie nicht verzichten, lieber Konvive, auch Sie müssen irgendwo hin mit Ihren freien Libidobeträgen, ganz ohne Rendite können auch Sie nicht leben.«
»Davon verstehe ich nichts«, er richtet sich stolz auf, hält sich an den Rändern seiner beiden Teller fest und fügt in steifer Würde hinzu: »Vom Geschäft verstehe ich nichts.«
»Dabei ist es ganz einfach. Schauen Sie – Herr Doktor, bitte sagen Sie dem Jungen, er soll aufhören, so mit dem Kopf zu wackeln, und sein Gesumme macht mich ganz wahnsinnig –, schauen Sie, so haben mein Mann und ich es damals immer gemacht, erst für die Bank und dann für uns. Immer alles Überschüssige sauber abführen. Wir haben schließlich eine gesunde Ehe geführt, und den freigewordenen Libidobetrag, sobald er fällig war, nein, eigentlich schon lange davor, umsichtig umschichtig liquidiert, also die Option darauf verkauft.«
»Äh, wie darf ich das …? Sie haben den freigewordenen Betrag investiert, indem Sie was genau gekauft haben?«
»Na, ich habe gar nichts gekauft, Dummerchen, ich habe die Option auf den freigewordenen oder genauer freiwerdenden Betrag verkauft, Wachsen im Werden , viel rentabler als in irgendwas zu investieren, das man nicht durchschaut, logisch, oder?«
»Also haben Sie etwas verkauft, was es strenggenommen gar nicht …«
»Ja was denn sonst? Schauen Sie, Professorchen, ich verkaufe Ihnen die Option darauf, die irgendwann bei mir wieder freiwerdende Libido zu erwerben – irgendwann muss der Betrag ja freiwerden. Und wenn nicht, ist es ja auch egal, Hauptsache Sie haben das Optionsrecht, oder nicht? Eigentlich wär’s für Sie sogar besser, die Sache würde nie frei, Sie könnten ja Ihr Optionsrecht verkaufen und zu einem günstigeren Zeitpunkt wieder zurückkaufen, und das machen Sie ein paarmal, sodass es wie das Hündchen Fido immer wieder zu Ihnen zurückgelaufen kommt, nur jedes Mal billiger.«
»So ähnlich oder umgekehrt oder im Grunde doch genauso wie mit dem Flaschengeist? Man darf die wundertätige Flasche nur für die Hälfte dessen, was man für sie bezahlt hat, wieder verkaufen, und am Ende versuche ich verzweifelt, diese Fünfzig Prozent Verlust zu machen, weil derjenige, der das Ding nicht mehr billiger verkaufen kann und auf der Flasche sitzen bleibt, seine Seele dem Teufel geben muss?«
»Ja, aber wie Sie wissen, gibt es nicht nur kleinere Beträge als einen Cent, man muss noch nicht mal mehr nach Frankreich fahren, um die Flasche einem armen Säufer für einen Centime anzudrehen, der ohnehin lachend zum Teufel geht – nein, Sie können auch im Negativen unendlich wachsen …«
»Derweil Sie reich werden, weil bei Ihnen nie was frei wird!«
»Ach Gott, reich, nein, mit dem bisschen Libidospekulation, einigermaßen kreditwürdig,
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