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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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schaue ich zwischen dem Jungen und dem Alten hin und her, doch bevor Evelyn mir antworten kann, lässt ein unverwechselbares Gekrächz unser beider Köpfe herumfahren. Mit O.W. verknäult kommt der Professor den Berg heruntergestolpert, wie ein störrischer Hund aus seinem Halsband versucht er, sich aus O.W.s Griff zu winden, was ihm zwar nicht annähernd gelingt, aber es ist erschreckend genug zu sehen, dass Pfleger immerhin so weit Kontrolle über Patient verloren hat, dass er sich überhaupt von ihm den Berg hinunter zerren lassen muss, was noch niemals geschehen ist.
    »… loslassen, nur eine Sekunde, Pamplona, Pamplona! Ich will der Satanssonde doch nur eine Sache …, eine winzige …, nur einen Satz!« »Ist gut, O.W., lassen Sie ihn los, ich bring ihn dann gleich selbst wieder hoch.«
    Pfleger lässt Patient augenblicklich los, der dadurch lang auf die Seite hinfällt, von seiner Raserei aber sofort wieder auf die Beine gestellt wird. O.W., der angesichts seines Machtverlusts augenscheinlich unter einem kleinem Schock steht, stiert mit offenem Mund schnaufend durch Referent hindurch und stopft sich dabei in wohlkonditioniertem Reflex seine blonden Haare, die ihm übers rechte Auge fallen, zurück unter die schwarze Pflegerhaube. Ich schüttle ihn vorsichtig an der Schulter:
    »Alles in Ordnung, O.W., nichts passiert, fast nichts, kann uns allen mal …«
    »Nein, Herr Doktor, kann es nicht, kann und darf es …«
    »Na na, nun seien Sie nicht so streng mit sich, und – Ihre Haare sind gut jetzt, hören Sie damit auf, gefälligst! – der Alte hat einfach momentan eine ungeheuerliche Kraft, weiß der Himmel warum …«
    »Weil ich ältere Rechte habe! Das Verfahren habe mich selig, und de iure war das hier gerade ein eindeutiger Fall von Freiheitsbekundung, was ich …«
    »Setzen Sie sich neben den Jungen, Professor, und halten Sie einfach mal die Schnauze!«
    Er gehorcht auf der Stelle, wodurch ich den Faden verliere und ihn in O.W.s erwartungsvollem Gesicht wiederzufinden suche. »Äh … wo war ich doch gleich?«
    »… ungeheuerliche Kraft, Herr Doktor.«
    »Richtig, ganz unglaublich, was dieser alter Mann für eine Kraft hat, wenn’s drauf ankommt.«
    »Worauf, Herr Doktor?«
    »Was?«
    »Wenn es worauf ankommt, Herr Dr. von Stern?«
    »Äh … das ist doch nur so eine …, das weiß ich doch nicht, worauf’s ihm …«
    »Nein? Wirklich nicht, Herr Doktor?« Er hat seinen kleinen Schock sauber in der Berghaltung, Tadasana , ausgestanden, kerzengerade, und seine hellblauen Augen sind auf einmal fast schwarz verschattet, doch dann fährt er treuherzig ängstlich fort: »Wissen Sie, Herr Doktor, wenn Sie wüssten, worauf es ihm … worauf er hinauswill, und wenn Sie etwas tun könnten, etwas schreiben oder zumindest Ihren Dienstplan einhalten, wenigstens die Türen anständig verschließen … Sehen Sie, wenn ich meine Stelle hier verliere, Sie wissen, was dann mit mir …«
    »Seien Sie unbesorgt, O.W.,« ich rücke ihm tröstend den verrutschten Knoten seiner Krawatte zurecht. »Sie werden Ihre Stelle nicht verlieren.«
    »Sie wissen, dass ich alles für Sie tun würde, Herr Doktor, alles, ich hänge an Ihnen wie ein seidener Faden, nur meine Stelle darf ich nicht …«
    »Ruhig ruhig, O.W., ich verspreche Ihnen, es wird Ihnen nichts geschehen, und jetzt kehren Sie in Ihre Schicht zurück, ich komme gleich mit den beiden Patienten nach oben.«
    Er nickt und lächelt verhalten erleichtert, dann klärt sein Gesicht sich wieder von jeglicher Ausdrucksverunreinigung, und unauffälligen, gleichmäßigen Schritts eilt er davon. Um Zeit zu gewinnen sehe ich ihm nach, wie er langsam hinter den hohen Fliederbüschen an der Südseite der Terrasse verschwindet, und auch als er schon längst verschwunden ist, schaue ich noch immer in den dichten Flieder, dessen Blütentrauben ich von hier gar nicht im Einzelnen erkennen kann, aber gerade weil ich sie nur als Farbflecken sehe, fällt mir plötzlich auf, dass sie ja schon fast alle verblüht sind. Überall in den Farbklecksen hat das hintersinnig heitere Grau, das dem Rosa, dem Lila und dem Weiß in der Brechung ihrer vulgären Reinheit erst ihr unvergleichlich frisch fahles Tauschleierleuchten verleiht, schon dem sanftmütigen Braun der Verwesung Platz gemacht, hell und dunkel zugleich, wie verregneter und in der launischen Sonne halb wieder getrockneter Sand, noch zusammengeklumpt, schwer auf der Schippe, aber für ein spielendes Kind kein Grund für schlechte

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