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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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argwöhnische Mann mir glaubte. Ich nahm einen Fünfer aus meiner Börse und wedelte ihm damit vor der Nase herum. Er schnappte ihn.
    »Gehen Sie zu Schwester Ramona; das ist vier Blocks westlich von hier. Vor dem Haus ist ein Schild, da steht: ›Handzettel-Verteiler gesucht‹. Der Uhu hat in letzter Zeit für die Schwester gearbeitet.«
    Ich glaubte ihm. Sein Stolz und seine Würde verliehen ihm Autorität. Ich ging in die Richtung, die er mir wies.

    Schwester Ramona war ein Medium, das sich auf die abergläubische untere Mittelschicht Milwaukees stürzte. Das erklärte mir ein gewisser »Waldo«, ein Uralt-Penner, der vor dem Laden rumlungerte, in dem sie die Stadtstreicher und die als Blutspender Ausgemusterten rekrutierte, die ihre Botschaft per Handzettel in die ärmeren Ecken Milwaukees trugen. Sie zahlte in Zweiliterflaschen Wein, den sie lastwagenweise und spottbillig von einem eingewanderten italienischen Weinhändler aus Chicago kaufte. Er möbelte den Alkoholgehalt mit reinem Getreideschnaps auf, was seinen Wino ganz schön hochprozentig machte.
    Schwester Ramona wollte ihre Jungs bei Laune halten. Sie versorgte sie mit kostenlosen Schlafquartieren auf dem Parkplatz des Kinos, das ihr gehörte; sie gab ihnen drei Käsetoasts pro Tag, an dreihundertfünfundsechzig Tagen im Jahr; sie kaufte sie aus dem Knast frei, wenn sie versprachen, das Geld dadurch zurückzuzahlen, daß sie sich bei ihrem Bruder, der Gynäkologe war, umsonst Blut abzapfen ließen. Der Bruder hatte kürzlich seine Approbation verloren, weil er zu vielen Patientinnen im falschen Loch herumgestochert hatte.
    Das sprudelte unaufgefordert aus ihm heraus. Waldo erklärte mir weiter, das einzige Problem bei Schwester Ramonas Masche wäre, daß ihre Jungs immer an Leberzirrhose starben und im Winter erfroren, wenn ihr Parkplatz ganz vom Schnee verweht und sie zu faul war, ihn räumen zu lassen. Die alte Schwester hatte einen hohen Verschleiß, ja, Mann, sagte Waldo, aber es gab immer reichlich Nachschub: Die Schwester war ’n Wein-Connosüffler erster Güte und sie machte ’nen hundsgemein guten Käsetoast. Und sie hatte keine Vorurteile, nein, Mann, sie stellte Weiße ein und Neger und gab ihnen das gleiche zu futtern und den gleichen Pennplatz auf ihrem Parkplatz.
    Als ich einen Fünf-Dollar-Schein aus meiner Tasche zog und »George Melveny, der ›Uhu‹« sagte, fielen Waldo beinahe die Augen raus, und er sagte »das Genie« mit einer Betonung, die andere für Beethoven und Shakespeare reserviert hatten.
    »Warum ist er ein Genie, Waldo?« fragte ich, als der alte Mann mir den Fünfer geschickt aus der Hand riß.
    Er fing an zu plappern. »Weil er clever ist, deshalb! Professor an der Marquette! Die Schwester machte ihn zum Kapo, aber dann konnte er nicht mehr fahren. Er schläft nicht auf ihrem Parkplatz, im Sommer schläft er in ’nem Schlafsack am Strand am See, und im Winter schläft er in dem hübschen, warmen Heizungskeller in der Marquette. Er ist so clever, daß die Schwester ihn nicht mit Schnaps bezahlt - er trinkt nicht mehr; die Schwester zahlt ihn mit Modellflugzeugen, weil er die gern zusammenbastelt und den Kleber schnüffelt! Der Uhu ist ein Genie!«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Was is los, Mann?« fragte Waldo.
    »Du glaubst, das ist Information für fünf Dollar?«
    »Aber sicher!«
    »Ich auch. Willste dir noch ’n Fünfer verdienen?«
    »Klar, Mann!«
    »Dann bring mich zum Uhu, jetzt.«
    »Klar, Mann!«

    Wir gingen in meinem kochendheißen Ford auf Kreuzfahrt und fuhren im Zickzack die Straßen von Milwaukees Arbeitervierteln ab, bis wir ein paar zerlumpte Männer fanden, die Handzettel in Vorgärten und auf Veranden warfen. Ein paar wagemutige Typen stopften sie sogar in Briefkästen.
    Waldo sagte: »Das nennt die Schwester einen ›Bombenteppich‹. Schmeißt’s ihnen direkt in die gute Stube, sagt sie.«
    »Wieviel verlangt sie?«
    »Drei Dollar!« brüllte Waldo.
    Ich schüttelte den Kopf. »Das Leben ist wie ein Tritt ins Hirn, Waldo, was?«
    »Das Leben ist eher wie ein Tritt in den Arsch«, sagte er.
    Wir fuhren noch eine halbe Stunde. Der Uhu war bei seinen Kollegen nicht anzutreffen. Langsam spürte ich meine Erschöpfung, aber ich wußte, daß ich nicht schlafen konnte.
    Schließlich rief Waldo: »Der Hobby-Laden!« und fing an, Wegbeschreibungen herunterzurasseln. Alles, was ich verstehen konnte, war »Lake Michigan«, deshalb wendete ich und richtete den Wagen in Richtung des strahlenden Dunkelblau,

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