Heimlich
hatte, waren wir schon irgendwo an der Ecke Adams Boulevard und Seventh Avenue, und er grinste wie ein übersättigter Liebhaber. »Danke, Kumpel«, sagte er.
»Wofür?«
»Für alles. Ich kann’s dir nicht erklären, ich fühle mich heute so leer.«
»Dabei fällt mir ein«, sagte ich, »ich hab’ ein Geschenk für dich. Es ist in meinem Umkleideschrank. Eine Gedichtanthologie. Aber sei vorsichtig - ich habe es gründlich studiert, und wenn wir das nächste Mal ›Nenne den Dichter‹ spielen, mach ich dich fertig.«
»Das möcht’ ich erleben. Herr Gott! Mir geht’s prima heute. Wie wär’s mit Kaffee und Doughnuts? Ich zahle.«
»Gebongt.«
Wir fuhren zu Coopers Doughnuts-Laden Ecke Dreiundzwanzigste und Western, wo wir uns ein Dutzend Doughnuts und Kaffee bestellten. Wir aßen und tranken schweigend.
Von meinem Platz konnte ich auf die Straße sehen, und ließ das Wunder der Wirklichkeit an mir vorüberziehen: ein kalter, sonniger Wintertag. Meine Stadt. Ich wußte, das alles stimmte, was ich sah.
Schräg gegenüber, vor einem Schnapsladen auf der Western Avenue, überredete ein Schuljunge einen Penner, in den Laden zu gehen und ihm etwas zu trinken zu kaufen. Der Penner ging hinein, und der Junge zwinkerte einer Mulattenhure zu, die nebenan vor einem Taxistand posierte. Sie fing seinen Blick auf und schnaubte amüsiert. Kurze Zeit später kam der Penner aus dem Laden und händigte dem Jungen verstohlen eine Papiertüte aus. Der Junge rannte weg und warf der Prostituierten irgendeine Bemerkung zu, worauf sie ihm den Mittelfinger zeigte. Der Penner entfernte sich in die andere Richtung. Er nuckelte an einer kleinen Flasche Muskateller, die ihm der Junge für seine Dienste gekauft hatte.
Ein Streifenwagen fuhr langsam vorbei. Am Steuer saß mein Kollege Tom Brewer. Blitzschnell steckte der Penner die Flasche in seine hintere Hosentasche und schaute schuldbewußt umher. Brewer fuhr einfach vorbei, ihm war diese kleine Szene entgangen. Hätte er es gesehen, wäre es ihm auch egal gewesen. Sein Vater war Alkoholiker, und er hatte seinen Vater geliebt, deswegen ließ er Betrunkene in Ruhe. Tom hatte mir eines Abends, als er selbst halb betrunken war, bei einem Baseballspiel in der Polizeiakademie von seinem Vater erzählt.
Meine Stadt. Mein Wunder.
Drei Stunden später fuhren wir auf der Berendo Richtung Süden, als uns ein weißer Ford-Lieferwagen in entgegengesetzter Richtung passierte. Ich drehte mich um und sah, daß zwei Mexikaner im Wagen saßen. An der Ecke drehten sie rechts ab und waren außer Sicht, aber ich wußte Bescheid. »Halt an, Junge«, sagte ich.
Wacky bemerkte den Ernst in meiner Stimme und fuhr rechts ran.
»Was ganz Heißes, Wacky«, sagte ich. »Um die Ecke hinter uns ist ein kleiner Laden. Die zwei mexikanischen Ganoven in dem Ford sind gerade da hingefahren...« Ich mußte nicht weiterreden. Wacky nickte und fuhr den Schwarzweißen ganz langsam in einer Schleife auf die andere Straßenseite, kurz vor der Kreuzung hielt er.
Wir stiegen langsam und vollkommen synchron aus. Wir schauten uns an, nickten und holten unsere Pistolen aus dem Halfter, dann schlichen wir an einer Wäscherei vorbei bis an die Ecke. Die Straße weiter unten stand der Ford vor dem Laden in zweiter Reihe geparkt.
»Jetzt, Kumpel«, flüsterte ich. Wir standen an die Wand des Eckgebäudes gedrückt und arbeiteten uns ganz langsam weiter zu dem Laden vor.
Wir waren noch wenige Schritte davon entfernt, als zwei Männer mit gezogenen Knarren herausgerannt kamen. Sie sahen uns sofort, wirbelten herum und schossen wild drauflos, gerade als Wacky und ich das Feuer eröffnet hatten. Ich drückte drei Schüsse ab, und der erste Kerl flog aufs Pflaster, wobei er etwas fallen ließ, das wie ein Sack voll Geld aussah. Wacky schoß zweimal auf den anderen Mann, der wiederum schoß auf mich.
Wir waren auf ganz kurzer Distanz, aber irgendwie blieb ich ganz ruhig und beantwortete seine Schüsse. Ich traf ihn in der Brust, und er stürzte in den Rinnstein. Wacky feuerte noch zweimal auf den Mann auf dem Pflaster und näherte sich ihm langsam. Er lag auf seinem Bauch, die Arme ausgestreckt, seine Hand noch um die Pistole gekrallt.
Wacky war fast über ihm, als ich sah, daß der Kerl in der Gosse auf ihn zielte. Ich schoß zweimal auf ihn und bewegte mich auf ihn zu, als ich noch einen Schuß hörte. Ich drehte mich um und sah, wie Wacky rückwärts stolperte. Er schien wie gelähmt und griff sich an die Brust. Er ließ
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