Heimlich
weiß, aber ich kann nicht! Sie müssen Herbert sagen, daß er nicht mehr hier anrufen soll. Daddy glaubt, daß jeder, der an mir interessiert ist, nur hinter seinem Geld her ist. Außerdem bin ich verlobt.«
»Ist Big Sid mit Ihrem Verlobten einverstanden?«
»Nein, eigentlich nicht, aber wenigstens ist er Jude und macht einen Hochschulabschluß. Er hat eine große Zukunft.«
»Hat ein Polizist keine Zukunft?«
»Das hab’ ich nicht so gemeint!« jammerte Siddell. »Daddy mag Sie, aber Herbert hält er für verrückt.«
Ich führte Siddell zu einem gewaltigen roten Ledersofa, das neben dem Kamin stand. »Ihr Vater hat recht«, sagte ich. »Er spinnt. Lieben Sie denn den Kerl, den Sie heiraten werden?«
»Ja! Nein! Ich weiß nicht!«
»Dann rufen Sie Wacky an. Er steht im Telefonbuch - Herbert L. Walker, 926, South St. Andrews, L.A. In Ordnung?«
»In - in Ordnung. Ich bin nächste Woche nicht in der Stadt, aber ich rufe Herbert an, wenn ich zurückkomme.«
»Gut.« Ich tätschelte Siddells Hand, dann überlegte ich, wie ich die Unterhaltung fortsetzen sollte, um auf die wahre Absicht meines Besuches zu sprechen zu kommen. Endlich fiel mir etwas ein: »Das ist ein verdammt schönes Haus, Siddell. Ihre Mutter investiert offenbar eine Menge Zeit in seine Pflege.«
Siddell senkte ihren Kopf. »Mama ist tot«, sagte sie.
»Tut mir leid. Erst kürzlich?«
»Nein, das war 1933. Ich war neun und Lorna war dreizehn.«
»’ne lange Zeit her.«
»Ja und nein.«
»Geht es Ihnen immer noch nach?«
»J-ja... aber hauptsächlich Lorna.« Siddells Stimme klang so, als spräche sie eine grundlegende Wahrheit aus.
Ich stupste sie sanft. »Was meinen Sie damit, Siddell?«
»Nun, Mama starb, und zur gleichen Zeit wurde Lorna zum Krüppel, deswegen haßt und liebt Lorna sie gleichzeitig. Sie fuhren den Sunset Boulevard entlang. Mama war wieder schwanger. Es regnete, und Mama schleuderte gegen einen Baum. Ihr Bauch prallte auf das Lenkrad. Das Baby war tot, aber ansonsten blieb sie unversehrt. Lorna wurde durch die Windschutzscheibe geschleudert. Sie hatte einen Beckenbruch, deswegen läuft sie so komisch, deswegen ist ihr rechts Bein so dünn - alle Nervenenden wurden aufgerissen. Jedenfalls, Mama wollte noch ein Baby, ganz dringend. Sie wußte, daß Daddy einen Sohn wollte. Sie behielt das Baby im Bauch, sie wollte nicht glauben, daß es tot war. Sie hätte ins Krankenhaus gehen müssen, um die Geburt einzuleiten, aber sie tat es nicht. Das Baby entzündete ihren Bauch, und sie lief weg. Oben in den Hollywood Hills fanden sie ihre Leiche. Da oben hatte sie für sich ein kleines Nest gebaut, mit all den Babykleidern, die sie bei Bonwit Teller gekauft hatte. Sie konnte nicht glauben, daß das Baby tot war.«
Das war fast mehr, als ich wissen wollte.
Siddell spürte das: »Seien Sie nicht traurig«, sagte sie, »das ist ’ne lange Zeit her.«
Ich nickte. »Und Ihr Vater hat nie wieder geheiratet?«
Siddell schüttelte den Kopf. »Seit dem Tag, als Mama starb, hat Daddy keine Frau mehr angefaßt.«
Ich stand auf, um zu gehen. Als Abschiedsworte sagte Siddell: »Sagen Sie Herbert, daß ich ihn anrufen werde. Sagen Sie ihm, daß ich ihn mag.«
»Mach’ ich.«
Ich ging zu meinem Wagen. Ich schaute zum Himmel hoch und hoffte, es würde regnen. Als ich den Wagen anließ, spürte ich das Wunder - und die Ironie: Meine adoptierte Familie bestand auch aus Waisen.
5
Wacky fehlte Montag und Dienstag wegen Grippe, und Beckworth nahm es ihm ab, weil Wacky sich kaum jemals krankschreiben ließ. In Wirklichkeit war er stockbesoffen, arbeitete gerade an einem neuen »epischen« Gedicht und wartete auf einen Anruf von Siddell Weinberg.
Als wir Mittwoch in aller Frühe aus dem Parkplatz bei der Wache bogen, versuchte ich seine Befürchtungen zu zerstreuen: »Sie ist jetzt ’ne Woche oder so nicht in der Stadt. Sie wird dich anrufen, wenn sie zurückkommt.«
»Wirklich?«
»Ja. Wir hatten ein nettes Gespräch. Sie ist mit einem Juden verlobt, aber sie liebt ihn nicht.«
»Und sie ist scharf auf ein bißchen unkoscheres Fleisch nebenher?« Wacky sabberte beinahe.
»Ich glaub’ schon. Sie denkt, daß du der Allergrößte bist.«
Wacky feierte die gute Nachricht, indem er mitten im dichtesten Verkehr umdrehte, die Sirene einschaltete und das Gaspedal fünf Minuten lang bis unten durchdrückte. Er jagte durch die stillen Seitenstraßen, die das Revier umgaben. Als er endlich wieder normal fuhr und die Sirene ausgeschaltet
Weitere Kostenlose Bücher