Heimlich
schloß seine Augen und wollte schreien. Kein Laut war zu hören.
Dudley und ich schauten uns an. Mike Breuning fummelte an seinem Stenoblock herum. Er hielt seine Augen verschämt auf die Erde gerichtet. Ich gab Dudley ein Zeichen. Er folgte mir in das Nachbarzimmer. »Überlassen Sie ihn mir«, sagte ich. »Er hat zuviel Angst vor Ihnen. Lassen Sie mich mit ihm reden. Alleine. Ich krieg ihn schon soweit.«
»Ich möchte ein Geständnis, mein Junge. Heute.«
»Das kriegen Sie.«
»Ich geb’ dir zwei Stunden, mein Junge. Nicht mehr.«
Ich führte Engels vorsichtig ins andere Zimmer. Ich sagte ihm, er solle erst einmal das halbwegs saubere Badezimmer benutzen. Das tat er, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Ich wartete, bis Engels sich gewaschen hatte. Er kam wieder raus und setzte sich auf die Ecke einer der Liegen. Sein Oberkörper war übel zugerichtet, und die Beule auf seiner Schulter, in die Dudley seine Hand gegraben hatte, war zu einer Orange geschwollen.
Ich zündete ihm eine Zigarette an und gab sie ihm. »Haben Sie Angst, Eddie?« fragte ich.
Er nickte. »Ja, ich hab’ richtig Angst.«
»Wovor?«
»Vor diesem Iren.«
»Das kann ich verstehen.«
»Was wollen Sie von mir? Ich bin nur ein kleiner Spieler.«
»Und ein Frauenschläger.« Er senkte den Kopf. »Schau mich an, Eddie.« Er hob den Kopf und sah mir in die Augen. »Hast du viele Frauen geschlagen, Eddie?« Er nickte. »Warum?« fragte ich.
»Ich weiß nicht!«
»Wie lange machst du das schon?«
»Schon lange.«
»Schon in Seattle?«
»Ich... ja.«
»Wissen deine Eltern davon?«
»Nein! Lassen Sie die da raus!«
»Sssch. Liebst du deine Eltern?«
Engels schnaubte, dann sah er mich an, als sei ich verrückt. »Jeder liebt seine Eltern«, sagte er.
»Alle, die sie kennen. Ich hab’ meine nie gekannt. Ich bin im Waisenhaus aufgewachsen.«
»Das ist aber traurig. Das ist wirklich traurig. Ist das der Grund, warum Sie Polizist wurden? Um sie aufzuspüren?«
»Hab’ ich nie drüber nachgedacht. Du hast aber Glück gehabt, daß du eine nette Familie hattest.«
Engels nickte, seine furchtsamen Gesichtszüge klärten sich für einen Moment auf.
»Stehst du deiner Schwester Lillian sehr nahe?« fragte ich. Engels antwortete nicht. »Ja oder nein?« Immer noch keine Antwort. »Ja oder nein, Eddie?«
Engels Gesicht wurde puterrot. »Ich hasse sie!« schrie er. »Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie!« In seiner Verzweiflung schlug er mit den Händen auf den Bettrand. Der Ausbruch war so schnell vorbei, wie er angefangen hatte, aber Eddies Ausdruck hatte sich wieder geändert. »Ich ... hasse ... Lillian.« Er sagte es ganz leise mit großer Bestimmtheit, ein Wort nach dem andern.
»Hat sie dich geschlagen, Eddie?« fragte ich.
Die Antwort war ein Kopfschütteln.
»Hat sie sich über dich lustig gemacht?«
Keine Antwort.
»Hatte sie Macht über dich?«
»Ja«, wimmerte Eddie. Er biß sich auf die Lippen.
»Was hat sie dir getan?« fragte ich sanft.
Eddie Engels sagte ganz ruhig: »Sie hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Sie war lesbisch, und sie wollte nicht, daß ich andere Mädchen liebte als sie.«
»Und?« flüsterte ich.
»Und sie kleidete mich, malte mich an...«
»Und?«
»Und... richtete mich zu, und ließ es sich von mir vor den Augen ihrer Freundinnen besorgen...« Engels’ traurige Stimme erstarb.
Ich räusperte mich. Meine eigene Stimme klang fremd und weit weg. »Und dafür haßt du sie?«
»Und ich hasse sie für das, was sie aus mir gemacht hat, Officer. Aber ich liebe sie auch. Und ich bin lieber das, was ich bin, als das, was Sie sind.«
Seine Worte hingen in der Luft, giftig wie Atomstaub. Ich gab Engels die Papiertüte mit den Eiern und den Milch-Shakes. »Essen Sie jetzt Ihr Frühstück«, sagte ich. »Ruhen Sie sich eine Weile aus, und dann werden Sie bald erfahren, warum wir Sie hierher gebracht haben.«
Ich vergewisserte mich, daß der fensterlose Raum von außen geschlossen war, dann ließ ich Engels alleine, um über meine Drohung nachzudenken. Dann ging ich hinüber und erstattete Dudley Smith Bericht.
»Du hättest Kopfjäger werden sollen, mein Junge«, war sein einziger Kommentar.
Um 1.30 Uhr an jenem Nachmittag brachten wir Eddie Engels wieder in das Verhörzimmer. Er war versorgt und ausgeruht, sah aber abgeschlafft aus und bereit, alles zu akzeptieren. Ich setzte ihn auf die Matratze, und Dudley, Breuning und ich arrangierten unsere Stühle so, daß er nichts
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