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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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Amazonen sehn! 12
    Frauen kämpfen. Mit Waffen. Halb sind sie Maschinen. Vielleicht haben sie zwei Seelen in der Brust, auf jeden Fall aber zeigen sie auf der Brust zwei Geschlechter: weiblich die linke Seite, die rechte männlich muskelglatt. Kleist achtet aufs Äußere. Das heißt: auf den Körper. Die Seele lass Seele sein. Sie folgt, er weiß es, schon nach. Unsprechbar ist sie sowieso.
    Also doch – ein Romantiker? Einer, auf den Novalis’ Satz passt: »Das Innere ist ein in den Geheimniszustand erhobenes Äußeres«?
    Ja. Aber. Kommt darauf an, was man unter »Geheimnis« versteht.
    Im Käthchen von Heilbronn , entstanden zwischen 1808 und 1810, ist unter Aufbietung einer Reihe himmlischer Kräfte Rede und Szene vom Geheimnis der »Liebe«, das am Ende auch Visionen, Träume und Fieber nicht klären, nur einfassen. Himmlische Mächte, also auch teuflische, kommen Fall um Fall ins Spiel. Die Körper lügen: etwa jener der Kunigunde von Thurneck, die ihre Leimrute nach dem Wetterstrahlgrafen nicht nur unter Vorspiegelung falscher juristischer Tatsachen, sondern auch physischer Wunderfassaden auszulegen weiß. Nur Käthchen sieht die Dame ohne ihre künstlichen Hilfsmittel beim Bad in der Grotte. Leider wird uns das falsche Fräulein (Zähne? Haare? Haut?) nicht beschrieben; der Betrachterin hat es die Sprache verschlagen, und wir fühlen wohligen Grusel, wenn Kunigunde sie im Anschluss für das Verbrechen des Erblickens vergiften will, damit die Körperspionin sicher und für immer schweigt.
    Einen kleinen Blick auf die groteske Kunigunde gönnt Kleist uns später: Schief wie der »Turm von Pisa« humpelt sie aus dem Zimmer, das überraschend der Graf betrat. Starke Osteoporose? Offensichtlich besteht auch ihr Skelett mehr aus Fischbein denn aus Knochen.
    Nur der Graf merkt nichts.
    Auch er verfügt also über die liebenswerte männliche Eigenschaft, von weiblichem Aussehen, gleichgültig, wie es zustande gekommen sein mag, extrem beeindruckbar zu sein. Wie wäre es ihm erst in der Zeit von Botox, Silikon und künstlicher Beinverlängerung ergangen? Die Wertungen der Figuren zu Bösewichtin Kunigunde sind am Ende des Dramas zwar eindeutig. Doch ihr gilt das letzte Wort des Textes. Sie steht am Ende mit auf der Bühne – mit diesem halb künstlichen Körper. Er macht sie zu einer typischen Kleistfigur: eifrig, ständig, inständig bietet er sich der Lektüre dar. Kunigunde breitet neben Schriftstücken ihr Haar aus, sendet Blicke, Busen, Worte und Schmacht, lässt sich dramatisch retten. Was man sieht, ist wirklich, aber nicht echt; was ebenfalls wirklich ist, verbirgt der hergerichtete Körper fast immer. Da , einmal zeigt er sich, dort ist er wieder fort. Ein Körper, der sich wandelt, changiert, inszeniert.
    Proben werden nötig.
    Auf die Wahrheit. Aufs Lesen. Auf das Zeichen.
    Kleist weiß, was er liebt: Überwältigung.
    Sie ist ein Heldenrest.
    Die Probe
    Dank himmlischer Mächte kommt das Käthchen zu einem guten Ende. In Kleists Prosa hingegen sind Sprache und Handlung »realistischer«. Die Figuren mögen Visionen von Engeln und Teufeln haben, der Erzähler spricht eine andere, nicht erklärende Sprache. Er ist modern in seiner Zurückhaltung, ist vor allem Autorfunktion (Schnitt und Regie), folgt den Figuren, konzentriert auf Gesten und die wenigen Worte, die sie wechseln. Kein Kafka ohne Kleist.
    Den Handlungsort seiner Prosa rückt Kleist gern fort in den Süden, auch bis nach Südamerika. Die Antwort dafür liegt auf der Hand: Er muss sich schützen. Vielleicht vor Zensur. Mehr noch vor dem Geschmack der anderen. Vielleicht vor sich selbst. Gerade hier, in der Prosa, schreibt er aufs Engste an seiner Zeit entlang. Ihre Verhältnisse und Fragen buchstabiert er ihr/sich/uns aus.
    Wenn ein Autor wie Kleist Themen aus dem Gefüge aufspürt, das er beobachtet, das auf ihn wirkt, das er agieren sieht, das ihn einschließt, wieder ausspuckt, bezogen also auf jenes Gemeinwesen lebt, in das gehörend er nicht gehört, einer, der dem Gemeinwesen nicht unbedingt geneigt ist und dessen Verstand in viele verschiedene Richtungen schaut, dann weist die Antwort darauf, wie prekär und fragil das Ich ist, auch zurück in die Kriegszeiten, in denen ein guter Teil von Kleists Leben stattfand. Sie weist auf Schlachten und ihren Ursprung, die Französische Revolution, ihre blutigen und mentalen – und eben so miteinander verknüpften – Folgen.
    Die Marquise von O…
    Kleists 1808 veröffentlichte Novelle beginnt

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