Heimliche Helden
besten Sinn: Man spürt die Verfertigung des Gedankens beim Schreiben, spürt, wie jemand sich Sprache und Szene überlässt, alles Weitere daraus erzeugt. Ein Blick auf die Endvarianten des Lustspiels vom zerbrochenen Krug spricht Bände: Die erste bringt die Intrige um den Dorfrichter amüsant zum Abschluss, die zweite schießt dem Finale auch die Fäden Vaterland, Liebe, Versprechen, Gesetz und Betrug ein.
Kleist lebt in Zeiten des Umbruchs, der Beschleunigung. Vaterland, Liebe, Gesetz, Betrug. Die feudale Gesellschaft, gekennzeichnet durch klare Pyramidenhierarchie, verwandelt sich in Richtung einer bürgerlichen Ordnung, die dem Subjekt Freiheit zudenkt und Verantwortung aufbürdet. Dazwischen die Ranken des Gefühlsleibes, Arme, die sich berühren, Triebe.
»Nun denn, auf deiner Kugel, Ungeheures, … roll heran!« 8 Kleist wird zum Dichter der Probe. Gern auch der Stichprobe, im wörtlichen Sinn. Figuren werden angestochen, stechen sich gegenseitig. Manchmal veranstaltet die Natur in bösen Zugriffen auf den Körper ganz eigene Proben, etwa durch ein Erdbeben, manchmal testen Kleists Helden und Heldinnen sich selbst. Am effektivsten aber sind jene Versuche, die Menschen an Menschen ansetzen, treten doch sogleich die schlimmsten Seiten aller Beteiligten hervor. Lust am Lieben und Lust am Quälen versteht Kleist »innig ineinander zu kneten, als einen Teig«. Fast wirken die Figuren und ihre Umgebungen wie böse Versuchsanordnungen eines modernen Experimentators, Teile eines Theaters psychisch-mechanischer Grausamkeit, die Kleist mit Komik unterlegt. Bis man lacht – aus Staunen, Unglauben und Schmerz vor so viel Durchsicht auf Menschenseelen.
Kleist interessiert der Umschlag von Wirklichkeit und Erzählung (»Nachricht«) in Fiktion. Ihn interessieren sein Hier und Jetzt, auch wenn er es historisch einkleidet oder in leicht zu entziffernden Tarnbewegungen nach Chile oder Italien verlegt. Acht bis zehn Generationen, zehn Genmischungen, ist dieser Dichter von uns entfernt. Und wie viele Ängste, Fragen, Ideen?
Kleist, Dichter des Gerüchts. Geheimnisse, Fälschungen und Lügen streunen durch seine Texte, phänomenaler Samen- und Herkunftswahn entwickelt sich. Wie nebenher belebt dieser Mann des Krieges, der Beklommenheit und des Witzes eine Gattung, die in der deutschen Literatur eben erst im Entstehen begriffen ist: die Novelle. Kleist nutzt sie, das Radialsystem eines »unerhörten Ereignisses«, um die Verfassung des Einzelnen, des mit der Französischen Revolution eigentlich erst erfundenen, freiheitlichen Rechtssubjektes, gleich wieder zur Disposition zu stellen.
Sein letztes Drama, Prinz Friedrich von Homburg , beginnt träumerisch und endet in einem Szenario, das man heute als Foltermethode der Scheinhinrichtung kennt. Zwar wird die Exekution anders begründet – der Prinz hat sich selbst dem überstrengen Todesurteil unterworfen und kann, so der Grundgedanke, dank dieser Unterwerfung unter das Gesetz gerettet werden. Sprich: vermählt und neu in die Schlacht geschickt. Zuvor zitterte der preußische Held maßlos vor dem eigenen Grab und erwies sich als ruhmessüchtiger Phantast. Nachtwandelnd bot er sich anderen schutzlos dar, die daraufhin gnadenlos mit den Wunschknöpfen seiner Psyche spielten. Sie übertraten die Grenzen der Achtung und Integrität, wurden von den Folgen dieser Übertretung fast selbst hinweggefegt.
Der Prinz hat die Regeln übererfüllt. Das ist sein Helden-Fall. Sein menschlicher Makel: sein Ehrgeiz, seine Ruhmessucht. Eng geführt findet sich hier das Paradox des Helden: Ruhmesgierig muss er sein. Nicht für sich selbst allerdings. Doch wo soll die Grenzlinie zwischen »wir« und »ich« verlaufen? Eine brisante Frage in den Jahren rasch wechselnder Umbrüche nach 1789.
Kleist, Dichter des Zwischenraums. Wissen, Halb- und Unwissen ziehen ihn an, souverän bewegt er die vielfältigen Möglichkeiten des Irrtums, der Verdrängung, der Exaltation. Da steht er, vernichtet die Briefe der Braut, während Schwester Ulrike die seinen zerstört, liebt kreuz und quer, gar nicht oder im Übermaß. Des Unglücks und des Glückes Kugel rollt. Seine Auffassung, dass Seele immer körperlich gebunden ist, kombiniert mit notdürftig verbrämter, menschlicher Grausamkeit, bringt ihn auf erschreckende Weise – zu uns.
Extremsport betreiben seine Figuren: stürzen sich in Schlachten oder springen, sind sie weiblich, neun Meter überm Erdboden aus dem Fenster. Wirklichkeit wird aus Taten und
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