Heimliche Helden
auch das eigene Fremde berührt: das Trauma eines Verlusts.
Dies erklärt, warum die Fahrt selbst so gespenstisch bleibt. 1926, bei der ersten Münchenfahrt, standen Karlstadt und Valentin in einem vollbesetzten Bus. Nun, 20 Jahre später, wird weder ein Bus noch eine Straßenbahn noch ein anderes Gefährt benutzt. Die Fremdenfahrt ist eine Gespensterfahrt. Auch der Weg wirkt erratisch, fast als fliege man. Vom Hofbräuhaus zum Englischen Garten: ein Sprung. Stellt man sich die Stadt 1946 vor, ahnt man, was passiert ist. Es reist »nur« ein Auge, dieses aber bewegt sich konkret und dem Erdboden nahe, also auf Menschenhöhe. Es sieht weit. Die Stadt ist flach.
Fremd-flach: verschoben, verrückt. Fort das Fahren. Fort Liesl Karlstadt. Fort das Publikum. Geblieben nur die Anrede einer imaginierten Zuhörerschaft. Für einen Moment wird sie real durch die Radioübertragung. Dann ist auch diese Möglichkeit dahin.
Valentins Fremdenfahrt zeigt, welche Zerstörungen wirklich geschehen sind. Außen ist die Stadt nur mehr Stein, schraffiert und erstarrt. Ein Finger weist darauf. Er bekommt einen Schatten: An keiner Stelle handelt Valentin von verletzten Menschen. Auch dadurch aber verändert sich im Fortgang der Fahrt die Bedeutung von Zerstörung. Der Finger beginnt, auf Inneres zu weisen, auf Wahrnehmungsdefizite, Auslassungen, Unmöglichkeiten: versteinert, zerrissen, zerstört.
Niemand lacht.
Für Augenblicke begreift man, welch Luxus Komik ist.
Sprache und Knödeln
Valentin arbeitet nicht nur sachlogisch mit Verschiebung und Lücke, sondern immer auch sprachlich. Beispiele finden sich zuhauf, manchmal als Momente eines bereits ins Absurde gesteigerten Dialogs, die diesen vollständig kippen lassen – oder auch retten ( In der Apotheke ), manchmal als Bauprinzip eines ganzen Stücks ( Streit mit schönen Worten ). Aufgrund seiner sprachlogischen Absurdität und lautlichen Qualitäten berühmt geworden ist der Streit um die Pluralbildung des Wortes »Semmelknödel«. Nie wurde erbarmungsloser um den Buchstaben ›n‹ gerungen.
Selbstverständlich findet sich die Sprachdiskussion eingebettet in eine wiedererkennbare Lebenssituation. Die Ehefrau hat zwei Stunden mit dem Mittagessen auf den Mann gewartet, jetzt ist es neun Uhr abends – er erscheint. Direkt aus der Wirtschaft, wo er getrunken und mit der Kellnerin angebandelt hat? Aber nein, es ist ja Valentin. Der kommt direkt aus der Wirtschaft, wo er neun Stunden auf sein Mittagessen gewartet und mit der Kassiererin über das Ausbleiben der bestellten Semmelknödel gesprochen hat.
K.V.: Semmelnknödeln heißt’s.
L.K.: Ich hab ja gsagt Semmelknödel.
K.V.: Nein, Semmelnknödeln.
L.K.: Nein, man sagt schon von jeher Semmelknödel.
K.V.: Ja, zu e i n e m – aber zu m e h r e r e n Semmelknödel sagt man Semmelnknödeln.
L.K.: Aber wie tät man denn zu einem Dutzend Semmelknödel sagen?
K.V.: Auch Semmelnknödeln – Semmel ist die Einzahl, das musst Ihnen merken, und Semmeln ist die Mehrzahl, das sind also mehrere einzelne zusammen. Die Semmelnknödeln werden aus Semmeln gemacht, also aus mehreren Semmeln, du kannst nie aus einer Semmel Semmelnknödeln machen. 83
Mit Hilfe der bayrischen Semmelnknödeln wird Sprache hier valentinesk zum Thema. Zum einen in der Intonation: Semmelnnnknödelnnnn. Fast macht sich das »n« zum Vokal, so schwingt es. Zum anderen dank der akribisch angewandten, selbstverständlich absurden Forderung an die (Sprach)Welt, sie möge logisch sein. Kombiniert wird diese aufrechte, im Innersten verständliche Vorstellung mit dem kompromisslosen Ernst und Durchhaltewillen der Bühnen- und Lebensfigur K.V., eingebettet in eine Situation, die ihr Komikpotential immer schon mitbringt: das vertraute Ehepaar. Die Frau indes steht keineswegs mit dem Nudelholz bereit, eher behandelt sie den Zurückkehrenden wie einen armen Entlaufenen, der wieder aufgehalten wurde von den Absonderlichkeiten der Welt. Als Zuschauer ist man froh, dass man die neun Stunden unwiderlegbarer Knödelargumentation, die die Kassiererin ertrug, nicht selbst anhören musste, und will zugleich wissen, wie der Disput endet. Sein Fortschreiten tut im Kopf so weh, dass die Brust sich spannt und man sich bewegen (platzen) will. Und dann geht es friedlich und äußerst sachlich aus – das Ehepaar einigt sich.
Dabei lässt sich eine zweite Art der Komikerzeugung mit Sprache bei Valentin betrachten. Insbesondere in den Ehegesprächen kommt zum Tragen, wie unlogisch und
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