Heimliche Helden
sprunghaft eine Antwort die nächste gibt. Man rutscht dahin. Entscheidend scheint zu sein, was nicht ausgesprochen ist, wo einer der Partner weitergedacht hat, im Stillen für sich, und daraus die nächste Replik aufbaut. Hinzu treten Verhörungen und Begriffsstutzigkeiten auf beiden Seiten, offensichtliche Fehler, die keiner bemerkt (der n-Plural der »Knödel« etwa), plötzliche Bewegungen aufeinander zu. Gerade ein unerwartetes Nachgeben am Ende übersteigt die Unlogik der Unlogik noch einmal, indem es eine weitere Kategorie unlogischen Verhaltens ins Spiel bringt.
L.K.: Richtig muss es eigentlich S e m m e l n knödeln heißen, die Semmel muss man betonen, weil die Knödel aus Semmeln gemacht sind – überhaupt das Wichtigste ist der Knödel – Semmel k n ö d e l n müsste es ursprünglich heißen.
K.V.: Nein, das Wichtigste ist das n zwischen Semmel und Knödeln.
L.K.: Ja wie heißt es dann bei den Kartoffelknödeln?
K.V.: Dasselbe n, Kartoffel n knödeln.
L.K.: Und bei den Schinkenknödeln ah – hahaha –
K.V.: Da ist’s genauso – da ist das n schon zwischendrin, es gibt keine Knödeln ohne n.
L.K.: Doch, die Leberknödeln.
K.V.: Ja, stimmt – Lebernknödeln kann man nicht sagen! 84
Am Ende auf der Bühne
Fremde unter Fremden sind: Wenn Fremde über eine Brücke fahren, und unter der Brücke fährt ein Eisenbahnzug mit Fremden durch, so sind die durchfahrenden Fremden Fremde unter Fremden, was Sie, Herr Lehrer, vielleicht so schnell gar nicht begreifen werden. 85
Valentin ist immer langsamer. Er ist das Gegenbild von Karl May. Man erkennt dies schon an den (falschen) Vornamen der beiden Dichter, insbesondere aber an ihrer Körperlänge, ihren Köpfen und ihren Werken. Valentin liebte Löcher und hatte ein Talent, Löcher in Sachen hineinzustarren und -reden. May hingegen füllte immer alles aus und malte gern noch mal nach, damit es auch wirklich hielt. So wurde seine Welt recht heilig und ordentlich, bewohnt von echten Helden und echten Bösewichten. Am Ende jedes Abenteuers stand sie in bester christlicher Ordnung wieder da, alles war echt und selbsterlebt, auch wenn man (Old Shatterhand) vielleicht trauerte (um Winnetou).
Bei Valentin hingegen gibt es Heldenprogramm nur in extremsten Schrumpfformen. In Resten lebt es in Karl Valentins Antiheldenkörper, in der Komik des Nichtkönnens, Nichtverstehens und Nichtgelingens. Zum anderen ist es aufgelöst in Lebensalltag: Knopfkauf, Fischhaltung, Ehestreit. Hier ist alles immer in der Au geblieben, immer hat es einen Fehler gehabt, eine kleine Schrottstelle, als wäre Valentin ein Schrottcharley oder der Lumpenkarl. In Sachsen wurden das Böse und Gute nach links und rechts aufgeteilt, aber in der Au saß man in Autos statt auf Pferden, und die Schrottautos unseres Planegger Nachbarn, die in der Au standen und in Planegg, hatten zwar keinen Motor mehr, aber schöne Bänke mit nur ein bisschen Katzendreck auf den Polstern, das war weder böse noch gut, das brachte nur Glück. Glück brauchten die Figuren bei May nicht, so tüchtig waren sie; Frauen brauchten sie ebenfalls nicht, so wichtig waren sie selbst, aber Charly in der Au brauchte immer Frauen, er redete gern mit ihnen, und das zeigte er auch. Zwar mussten die Frauen für ihn kochen, Dinge ausbügeln und überhaupt vernünftig und geduldig sein, aber das war immer noch besser als eine Ntscho-Tschi, die gleich tot umfällt. May muss eine böse Angst vor Löchern gehabt haben, deswegen hat er sich nur Löcher vorgestellt, die Kugeln gemacht hatten, die also fast schon wieder gestopft waren. Valentin hingegen hat Löcher gesucht, geradezu eine Löchersammlung hat er gehabt und so ist er über all die Jahre zu einem geworden, der wusste, dass ein Netz nichts ist, um etwas zu halten, sondern ein langer Faden, geschlungen um Löcher, mit denen man nichts fängt.
Wie wir dahinrutschen auf und mit den Be-Sprechungen unserer Welt. Das rechte Wort fehlt oder fällt einem nicht ein, ist es eingefallen, klingt es falsch oder wird falsch verstanden, weil es richtig auch noch nach etwas anderem klingt: Schon ist der Fiaker mit dem Viehacker verwechselt, der Sohn ist frühreif, das Feld hat Frühreif und der Stadtrat ein Motorrad, denn das Fest findet statt in der Stadt auf dem Lande Stadt/statt. Ein Lob allen Doppeldeutigkeiten, Grammatikregeln und sich überlagernden Sprachstrukturen. Und Valentin? Ein anwendungsfähiger, knödelngefeiter Spurensucher und Buchstabenverfolger, Auf- und Abbauer des
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