Heimliche Helden
Un-Sinns, dialektaler Derridada avant la lettre.
Wasser hält zusammen, nimmt mit, bildet Strudel, blendende Oberflächen, unerwartete Tiefen. Valentin war ein bewegter, in diesem Sinn »wässriger« Komiker: Text, Vortrag, Bühne, Gestalt und die eine, wirkliche Auftrittssituation mussten zusammenschwimmen, um gemeinsam jenes Medium zu formen, in dem sich das Valentin als Komik und Lebenshaltung, als Sprachzugriff und Augen-Weise entfaltet.
Helden sind Ballungen. Sie werden hergestellt, um als gebündelte Kraft zu agieren, in Gefäße gegossen (Panzer, Fahrzeuge), auf eine Spur gesetzt. Valentins Texte folgen keinerlei Spur, sondern erzeugen eine (mäandernd, überraschend), sie treten komisch auf der Stelle, der Held ist kaum sichtbar (sehr dünn) und fragil: Er muss essen, trinken, reden. Statt zu handeln spricht er und bewegt nichts in der Welt, denn seine Sprache gleitet an den Absurditäten dieser Welt ab – und umgekehrt. Schon der erste Text, mit dem der Mann aus der Au zu Erfolg kam, handelte von diesen Rutschen und Glitschen, von den Paradoxien eines »Lebens im Fluss«: Sendlinger Straße, eine Wohnung im ersten Stock, Zimmer, Vogelhaus, Fischhaus, die Fische darin. Nach einigem leicht oder schwer vorstellbaren Hin und Her – Fische ins Vogelhaus, kippen aber immer übers Stangerl –, als alles endlich wieder bei der alten Ordnung ist, fällt ein Fisch aus dem Aquarium. Mit dem Fallen hört er auf dem Boden auf. Weil das nett ist von ihm, soll er nun nicht lange leiden, also gleich umgebracht werden. Valentin übernimmt das selbst: Der Fisch wird von ihm in der Isar ertränkt.
In Planegg hatte Valentin einen Fischteich. Noch einmal sitzt er für uns am Ufer des Würmwassers, mit hochgekrempelten Hosen, die nackten Füße im Fluss. Worüber er sich Gedanken macht? Manchmal hört man auch heute noch eine Kuh brüllen im Ort, auch wenn der Bauer Bauer kein Bauer mehr ist und die Kuh vom Band brüllt oder im Planegger Ortsteil Martinsried steht, wo genetisch über die Gründung der Würm und ihrer zukünftigen Würmchen nachgedacht wird.
Immer, wenn ich in München bin, fahre ich Straßenbahn. Neulich stiegen zwei verschwitzte Skater ein. Der eine hatte seinen Hund vors Board gespannt. Das Tier hechelte mächtig. Und was hörte ich den Hundelosen zum Hundebesitzer sagen?
Genau. Und beide grinsten, während für einen Augenblick der Schatten eines überlangen Steckerlbeines durch den Waggon huschte und eine leicht schnarrende, münchnerische Stimme flüsterte: »Saubande, dreckade.«
74 Karl Valentin, »Ich bin ein armer magerer Mann«, in: Alles von Karl Valentin , hg. von Michael Schulte, München 1978, S. 14–15, S. 15
75 Alles von Karl Valentin , »Buchbinder Wanninger«, S. 254–256, S. 256
76 Alles von Karl Valentin , »Hochwasser«, S. 44
77 Zitiert nach Monika Dimpfl, Karl Valentin. Biografie , München 2007, S. 237
78 Alles von Karl Valentin , »Karl Valentins Olympiabesuch«, S.41 – Karl Valentin: Sämtliche Werke Band 1, Monologe und Soloszenen © 1992 Piper Verlag GmbH, München
79 Karl Valentin, Jugendstreiche, zitiert nach Dimpfl, S. 178 – Karl Valentin: Sämtliche Werke Band 7, Autobiographisches und Vermischtes © 1996 Piper Verlag GmbH, München
80 Dimpfl, S. 284
81 Karl Valentin, Monologe und Soloszenen , in: Sämtliche Werke , Band 1, hg. von Helmut Bachmaier, Dieter Wöhrle, München 1992, S. 155–157
82 Valentin/Karlstadt, Fremdenrundfahrt von 1928, in: Karl Valentin, Sturzflüge im Zuschauerraum. in: Der gesammelten Werke anderer Teil , hg. von Michael Schulte, Band 2, München 1969, S. 213–216
83 Alles von Karl Valentin , »Semmelnknödeln«, S. 217 f. – Karl Valentin: Sämtliche Werke Band 4, Dialoge © 1996 Piper Verlag GmbH, München
84 Alles von Karl Valentin , »Semmelnknödeln«, S. 218– Karl Valentin: Sämtliche Werke Band 4, Dialoge © 1996 Piper Verlag GmbH, München
85 Alles von Karl Valentin , »Die Fremden«, S. 231
»LET MY COUNTRY
DIE FOR ME!«
SINGATUR/SIGNATUR
James Joyce, eine Bewegung
Wie erzählt man ein Leben? Am besten, wir fragen James Joyce selbst. Von den Dubliners über das Portrait of the Artist as a Young Man zum Ulysses , zu Finnegan’s Wake – Leben hat er erzählt, mögliche, erfundene, das eigene, gespiegelt in anderen, gespiegelt in der Stadt, ihren Phantasien und Mythen. Nie erzählt man ein Leben allein, zeigen diese Werke, Leben bedeutet Verflechtung, man braucht Muster, um es zu erzählen.
»Peristaltisch« sei
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