Heimliche Helden
seine Sache nicht. Stephen im Ulysses : »Let my country die for me!« 86
Nach dem Ende des Krieges kehrt die Familie in ein verändertes Triest zurück. Erneut hat eine Bewegung im Leben des James Joyce begonnen, deren Ende nicht abzusehen ist. Während eines dreiwöchigen Aufenthaltes in Paris will der Autor in Ruhe das Kirke-Kapitel des Ulysses beenden. Er bleibt knapp 20 Jahre an der Seine. Am 24.12.1920 lernt er Sylvia Beach kennen, die Inhaberin des Buchladens Shakespeare & Company. Kurz darauf beschließt sie, den Ulysses selbst zu verlegen. Am 2. Februar 1922, seinem 40. Geburtstag, hält Joyce die ersten Exemplare des Romans in Händen, der ihn mit einem Schlag weltberühmt machen wird.
Er steht im Rampenlicht und genießt es. Der Rhythmus der Bewegungen hat sich verschoben. Die äußere Ereignisdichte nimmt ab. Noch 1922 verschwindet Joyce in die 17 Jahre dauernde Arbeit an Finnegan’s Wake . Als er daraus auftaucht, steht der Zweite Weltkrieg unmittelbar bevor. Niemand hat Zeit für den neuen Roman. Der Autor ist enttäuscht. Die Nationalsozialisten erobern Frankreich, Joyce flieht erneut ins Exil-Exil Zürich. Wohnungs- und Geldnöte sowie Sorgen um das Schicksal der behinderten Tochter quälen ihn. Der Buchpublikation schließt sich eine Pause an. Stockung, Passage. Das Ereignis, das folgt, überstürzt alles: Joyces chronische Magenschmerzen steigern sich am 11.1.1941 zu schlimmsten Krämpfen. Er wird operiert. Am Mittag des 13. Januar 1941 stirbt er, noch keine 60 Jahre alt.
Wie erzählt man ein Leben? Sprache bedeutet Ordnung, Muster, Phantasie. Joyce testet sie aus, dehnt sie, um unsere Freiheit im Wahrnehmen der Welt zu erweitern. Seine Sprache ist nicht Mimesis eines Bewusstseinsstroms, sie geht darüber hinaus. Ein eigenständiges Wesen, das sich als Kunstprodukt zeigt, ein Korrelat zu den Ich-, Wir- und Stadtzuständen der human comedy , in der wir leben.
Jedes der Joyceschen Bücher steckt voller Neuerungen. Als 12-Jähriger hatte Joyce eine Nacherzählung der Odyssee gelesen und den Protagonisten in einem Schulaufsatz zu seinem Lieblingshelden erklärt. Seine Lieblingsfrau blieb – Nora. 1914, zehn Jahre nach der Begegnung mit ihr, brachte er seine beiden Favoriten auf dem Papier zusammen. Am ersten Bloomsday, dem 16. Juni 1915, schrieb er noch aus Triest auf einer Feldpostkarte in holprigem Deutsch an Bruder Stanislaus, der sich bereits in einem Zivilinternierungslager der Österreicher in Kirchberg an der Wild befand:
Lieber Stannie: Wir sind noch hier und bei guter Gesundheit. Ich hoffe dass du bist es auch. Falls wir reisen ab ich werde dir schreiben. Hab’ kein Angst für uns. Bis jetzt hat man uns immer gut behandelt. Ich habe etwas geschrieben. Die erste Episode meines neues Roman »Ulysses« ist geschrieben. Die erste Teil, die Telemachie, besteht aus vier Episoden: die zweite von fünfzehn, dass ist, Ulysses Wandlungen: und die dritte, Ulysses Heimkehr, von andre drei Episoden. Leb wohl. 87
James Augustine Aloysius Joyce wäre kein rechter Odysseus gewesen, hätte er sich nicht einen besonderen Trick für das Ende seines berühmtesten Buches ausgedacht. Seiner Penelope-Gattinmutter-Geliebten Molly Bloom und uns legt er sich – in den Mund. Mollys Monolog endet mit einem »yes«: »ja ich will ja«. Er endet zumindest in frühen Ausgaben im Original so, auf Deutsch: J und a, zweimal. Das sind Joyces Initialen, seine Signatur, als Rahmen um ein »ich will« gefügt.
Wie man Leben beschreibt? Vielleicht ist die Antwort so einfach, so kurz: JA, ich will.
86 James Joyce, Ulysses: The Corrected Text , hg. von Hans Walter Gabler, Harmondsworth 1986, Kapitel 15, S. 482, Zeile 4473
87 Zitiert nach: James Joyce, Briefe , Frankfurt am Main 1975, S. 128 f. Siehe auch: »Falls wir reisen ab«, Franz Karl Stanzel, in: Die Presse vom 29.05.2004
REDEN NACH DEM KRIEG.
Hans Joachim Schädlichs Nichtroman Anders
Der Ort, an dem ich dies im Mai 2009 schreibe, hat soeben den Frieden erreicht. Der Frieden findet im Fernsehen statt, ihm folgen Ausschnitte aus dem 25 Jahre währenden Bürgerkrieg. Mehrheit gegen Minderheit, Minderheit besiegt. Tote über Toten, vor allem in den Wochen vor dem Ende der Kämpfe, darunter zahlreiche Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder. Der Sieg wird vollzogen und wird, um weiterhin vollzogen zu sein, ständig wiederholt. Seit dem Tag des Sieges folgen einander Feiertage: Prozessionen, Böllerschüsse, Fahnenschwenken, Polizeikontrollen in den Straßen. Wer
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