Heimliche Helden
Wahrheitsherstellung in Zeiten großer äußerer und innerer Zerstörung betrachtet. Thematisch und formal kreist er um Fragen von Lüge und Schein.
Nach 1945 schwebten die Echos heldischer Blut-und-Boden-Parolen über den zerbombten Städten des soeben untergegangenen Nazireiches, am Boden bewegten sich an Leib und Seele verstümmelte Menschen. Der sich für Vaterland und Führer opfernde Held war implodiert, alle Ehre hinweggefegt, unvorstellbar die Schuld. Anders untersucht, was mit diesen ideologischen und menschlichen »Resten« geschah. Implodierte Helden erfinden, so eine der Spuren des Romans, neue Identitäten. Die zweite: Aus Opfern werden im Gegenzug Helden der neuen Art konstruiert, die die ebenfalls neugefärbte Staatspropaganda für ihre Zwecke gebrauchen kann. Die DDR arbeitete zudem intensiv an der Heldenüberwachung: Helden der Arbeit, Helden des Horchens, Spionierens und Unterdrückens.
Über Stufen und Brechungen führt der Weg der heldischen Echos bis zu den beiden Protagonisten des Romans selbst. Sie finden sich doppelt in einer »klassisch« heldischen Position: als prominente Figuren eines Textes und als Männer, die um die Liebe derselben Frau konkurrieren. Ihre Waffen sind Sprache und Recherchekunst, der Skandalwert ihrer Fälle, die Akribie ihrer Nachforschungen.
Vor der Silhouette Colombos, verwaschen im Morgendunst aus Smog und Ozeangischt, reibe ich mir die Augen. Inzwischen hängen und wehen auch auf den Straßen Bilder des wohlgenährten, weißen Präsidenten. So sauber, so hell, so finely washing your brain, wie es in der Sprache der britischen Kolonialmacht heißt, die zahlreiche Spuren im kollektiven Gedächtnis, in Idiom, Psyche und Landschaft der Insel Sri Lanka hinterlassen hat. Man böllert, der Himmel hängt voller Wolken. Gleich wird es auf die Vorbereitungen der Siegesparade regnen, auf die Straßensperren in der Hauptstadt, die Gewehrläufe, die man in das kleine, rundum offene, dreirädrige Auto hält, mit dem ich herumgefahren werde. Erkennt der Soldat mein weißes Gesicht, zieht er den Lauf rasch zurück und kontrolliert meinen bundesrepublikanischen, europäischen, hier immens solide wirkenden Pass.
Schädlich, geboren 1935, lebt heute in seinem vierten deutschen Staat; ich lebe in meinem zweiten. Die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts habe ich nicht selbst erfahren, wenngleich sie als Familiengeschichte, als Geschichten von Taten, unterlassenen Taten, Traumatisierungen und Toten in meine Identität ragen. In manchen Therapieseminaren für Kriegskinder (Jahrgänge 1926–1945) werden die Teilnehmer gebeten, die Zahl der Menschen auf einem Zettel zu notieren, die sie durch den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen für ihre Leben verloren. Die Zettel werden eingesammelt, die Angaben addiert. Die Summe überschreitet die Zahl der Anwesenden in der Regel um das Zwei- bis Dreifache.
So viele Tote sitzen mit im Raum.
Ich gehe zu Fuß, auf dem Erdstreifen, der als Gehweg dient, bieten Händler Früchte an. Die meisten von ihnen sind Singhalesen, ihre Volksgruppe macht den Hauptteil der 20-Millionen-Bevölkerung der Insel aus. Die 25 Jahre lang bekriegten Tamilen stellen die größte Minderheit. Sie leben seit über 2000 Jahren vor allem im Norden und Osten der Insel, der Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen geht allerdings auf die Kolonialzeit zurück. Die Briten brachten nicht nur weitere Tamilen aus Südindien als Plantagenarbeiter nach Ceylon, sondern setzten die einheimischen Tamilen auch bevorzugt als Verwaltungsbeamte ein. Nach der Unabhängigkeit 1972 sollte Tamil, für die Singhalesen mit dem System der kolonialen Unterdrückung assoziiert, ebenso wie Englisch aus dem öffentlichen Leben verbannt werden; im Tamilengebiet im Nordosten Sri Lankas kam es zu bewaffneten Protesten, der Konflikt eskalierte. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen reichen in die europäische Geschichte von Welteroberung, Ausbeutung und Gier.
Es mag eine Binsenwahrheit sein, dass Krieg viele Gesichter hat.
Er hat auch Nebengesichter.
In Colombo im Mai und Juni 2009, mit Schädlichs Roman im Gepäck, beginne ich, einige davon deutlicher zu sehen.
Die in Anders brennpunktartig erzählte Zeit erstreckt sich über mehr als ein halbes Jahrhundert. Der episodische Roman zeigt Historie daran, wie Identitäten mit Hilfe kaum zu fassender Gedächtnislöschungen, Betrugsmanöver und Erfindungen aufbereitet werden. Er zeigt Opferhelden und deren ideologische
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