Heimliche Wuensche
angehalten. Nellie würde ihn geheiratet haben — sie hätte zu gern Kinder gehabt —; aber Charles und Terel waren so erbost gewesen über diesen Antrag, daß Nellie dem Mann einen Korb gegeben hatte. Ihr Vater und Terel hatten zu ihr gesagt, daß der Mann sie nur als Aufsicht und Betreuerin seiner Kindern benützen wolle, kein wirkliches Gefühl für sie habe und sie warten sollte, bis der »richtige« Mann kam. Nellie war nicht so töricht gewesen, anzunehmen, daß dieser Mann sie liebte, und sie hatte gewußt, daß sie mit ihren vierundzwanzig Jahren nicht mehr allzugroße Chancen hatte, einen Ehemann zu finden; aber sie hatte ihrem Vater und Terel nachgegeben und den Antrag des Witwers abgewiesen.
Danach hatte sie so viel gegessen, daß sie zwanzig Pfund zugenommen hatte. Ihr Vater verlor kein Wort darüber; aber sie spürte oft seinen Blick, der zu sagen schien, wie sehr er von ihr enttäuscht war. Sie mußte für ihn ja eine Last sein — eine unverheiratete Tochter, die nicht einmal ja sagen konnte, wenn sie einen passenden Mann zum Heiraten gefunden hatte.
Eines Tages kam Terel mit der Nachricht nach Hause, daß der Mann, der um Nellies Hand angehalten hatte, eine andere geheiratet und sich das große alte Farnon-Haus am Fluß gekauft habe. Terel versüßte ihr die bittere Neuigkeit mit einem Geschenk — einer Schachtel mit vier Pfund Pralinen, die Nellie an einem Nachmittag aufaß.
»Und was ist das für ein Gebäude?« fragte Jace.
Sie gingen die Lead Avenue in Richtung Stadtzentrum hinunter, und sie begann, ihm die Läden zu zeigen und die Geschäftshäuser von Chandler. Sie gingen am Hotel Denver vorbei, an Farrells Haushaltswarenladen, an Mr. Baglys Schneiderei, an Freyers Drogerie, bogen dann nach links in die Third Street ein und setzten ihren Weg dort fort.
Nach einer Weile überwand Nellie ihre nervöse Befangenheit, denn Jace war ein angenehmer Begleiter. Er schien sich für alles in der Stadt zu interessieren, wollte wissen, wie alt die Gebäude waren, wem sie gehörten und welche zum Verkauf anstanden.
»Wenn man Ihnen zuhört, möchte man fast glauben, daß Sie sich hier für immer niederlassen wollen.«
»Das wäre möglich«, sagte er und sah sie dabei auf eine Weise an, daß Nellie den Blick abwenden mußte.
Als Nellie mit Jace vor der Sayles-Galerie stand, wurden Johnny Bowen und Bob Jenkins auf Nellie aufmerksam und rannten auf sie zu.
»Ist Terel mit dir in die Stadt gegangen?«
»Ist sie zu Hause?«
»Kann ich mit ihr sprechen?«
»Was servieren Sie heute zum Dinner?« fragte Bob und lachte.
Nellie hatte das Gefühl, als würde sie auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeholt. Eine Stunde lang hatte sie sich gesonnt in den Blicken aus Jace’ warmen Augen und ihre schöne jüngere Schwester vollkommen vergessen. »Sie ist . . .« begann Nellie.
»Wenn Sie uns entschuldigen wollen«, mischte sich Jace mit strenger Stimme ein und blickte auf die beiden jungen Männer hinunter. »Nellie und ich sind schon früher miteinander verabredet gewesen.«
Die beiden jungen Männer waren so verblüfft, daß sie einen Moment lang kein Wort sagen konnten.
»Sind sie der neue Mann, den Terels Vater für sein Fuhrgeschäft angeheuert hat?«
»Ich arbeite für Mr. Grayson, ja«, erwiderte Jace spitz.
Bob grinste. »Ach, jetzt verstehe ich — sie ist die Tochter vom Boß. Nellie . . .«
Jace ließ Nellies Arm los und baute sich vor den beiden jungen Männern auf. Jace war älter, von kräftigerer Statur und erheblich selbstbewußter. »Ich bezweifle«, sagte er, »daß Sie die Intelligenz besitzen, überhaupt etwas zu verstehen. Und ich rate Ihnen, sich jetzt wieder auf die Socken zu machen und Miss Grayson nicht länger als Terminvermittlung für ihre Schwester zu mißbrauchen.«
Die Männer blickten zwischen Jace und Nellie hin und her. Johnny, der hinter Bob stand, betrachtete Nellie, als sähe er sie heute zum erstenmal in seinem Leben. Er sah sie nun nicht als Terels ältere dickere Schwester, die stumm den TEE, Kuchen und ein aus zahlreichen Gängen bestehendes köstliches Menü servierte; sondern als Frau. Ihm war bisher noch gar nicht aufgefallen, was für ein hübsches Gesicht sie hatte. Und obwohl sie etwas zu dick war für seinen Geschmack, hatte sie dennoch eine ebenmäßige Figur.
Johnny boxte Bob in die Rippen. »Es tut uns leid, daß wir Sie belästigt haben, Sir. Noch einen guten Tag, Nellie.« Er tippte mit dem Finger an seine Hutkrempe, und die beiden jungen
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