Heimliche Wuensche
Männer entfernten sich wieder. Johnny blickte sich nach drei Schritten noch einmal nach Nellie um.
»Lausbuben«, murmelte Jace, während er wieder Nellies Hand nahm und ihre Finger um seinen Arm legte. Chandler schien durchwegs von Wahnsinnigen bevölkert zu sein, dachte er. Waren alle diese Männer blind? Oder nur beschränkt? Es war ihm unbegreiflich, wie ein Mann sich für diese spitzgesichtige, magere, egozentrische Terel interessieren konnte, wenn Nellie in ihrer Nähe war.
An der Ecke Second Street und Coal rückte Miss Emilys Teestube in ihr Blickfeld. »Ich habe Hunger — Sie nicht?« sagte Jace.
Nellie war mit ihren Gedanken noch immer bei der Auseinandersetzung mit den beiden jungen Verehrern von Terel. Mr. Montgomery hatte sich so benommen, als wollte er den beiden eine Ohrfeige geben, und gesagt, daß sie nicht die »Terminvermittlung« ihrer Schwester sei. »Nein«, erwiderte sie wahrheitsgemäß, »ich habe keinen Hunger.« Sie fühlte sich zu wohl, zu glücklich, um jetzt etwas essen zu können. Sie merkte gar nicht, daß sich ihre Schultern gestrafft hatten und ihre Augen leuchteten, die vor einer Stunde noch ohne Glanz gewesen waren.
»Gestatten Sie mir, daß ich eine Kleinigkeit esse?«
Sie blickte zu ihm hoch. In diesem Moment hätte sie ihm alles gestattet. »Selbstverständlich«, sagte sie leise.
Doch als sie die Teestube betraten, sackten Nellies Schultern sofort wieder nach unten; denn da saßen drei von Terels wunderschönen, schlanken Freundinnen. Sie trugen alle drei maßgeschneiderte Kleider und Jacketts, die ihnen so stramm wie Wurstpellen auf dem geschmeidigen Körper saßen. Ihre Taillen waren so schmal, als könnten sie jeden Moment in zwei Teile zerbrechen.
»Ich glaube, ich sollte jetzt wieder nach Hause gehen«, flüsterte Nellie, die sich nun ihres alten Hauskleides bewußt wurde, ihrer ungekämmten Haare und vor allem ihrer zu starken Figur. Sie konnte es nicht ertragen, Mr. Montgomerys Reaktion zu beobachten, wenn er drei reizender Mädchen ansichtig wurde.
Eines von den Mädchen blickte hoch, erkannte Nellie, begrüßte sie mit dem winzigen Hauch eines Lächelns — schließlich hatte sie ja oft in Nellies Haus gespeist — und wandte dann den Blick wieder den anderen beiden Mädchen zu, die mit ihr am Tisch saßen. Doch in der nächsten Sekunde, als hätte sie irgend etwas unterlassen, sah sie abermals zu Nellie hin und wurde nun auf ihren Begleiter aufmerksam. Einen Moment lang verlor das Mädchen die Fassung, und ihr klappte der Unterkiefer herunter.
Nellie sah von den dreien weg, als Jace sie zu einem Tisch geleitete. Die drei glichen einem Blumenstrauß in ihren von Spitzen gesäumten Gewändern, mit dem winzigen Pelzbesatz an ihren Jacketts, den Juwelen in ihren Ohren und den kecken Hütchen auf ihren hübschen Köpfen.
Sie wußte, was die drei wollten: Jace vorgestellt werden. Sie holte tief Luft. Es war besser, wenn sie das gleich hinter sich brachte. »Darf ich Sie den dreien vorstellen?« fragte sie leise. Dann entledigte sie sich dieser unangenehmen Pflicht; mochte dabei aber nicht Jace ansehen, weil sie nicht miterleben wollte, wie er die drei betrachtete. Eines der Mädchen zog ihre Handschuhe aus, und Nellie konnte sehen, wie anmutig sie dabei die Finger bewegte.
Sie hörte nur mit halbem Ohr zu, als Jace sich mit den Mädchen unterhielt. Mit ihren Gedanken war sie gar nicht dabei, sondern blickte noch einmal auf diesen wunderbaren Nachmittag zurück, wo sie am Arm dieses herrlichen Mannes durch die Stadt gegangen war und so getan hatte, als sei er ihr Kavalier.
»Wollen Sie uns jetzt entschuldigen?« hörte sie in diesem Moment Jace sagen. »Nellie und ich sind hungrig.«
Nellie betete, daß der Boden sich öffnete und sie ver-schlingen möge. Leute ihres Umfangs behaupteten stets, sie würden nie etwas essen.
»Oh«, sagte eines der drei Mädchen und blickte dabei Nellie neugierig an.
»Mr. Montgomery — sind Sie der Mann, von dem Terel behauptet, er würde für ihren Vater arbeiten?«
Nellie wagte es endlich, einen Blick auf Jace’ Gesicht zu werfen, und statt der Verzückung, die sie darauf zu sehen erwartete, bemerkte sie eine leise Verstimmung.
»Ich habe mich dazu bereit erklärt, für Nellies Vater zu arbeiten«, antwortete er mit der Betonung auf den letzten beiden Wörtern, »aber nur unter der Bedingung, daß Nellie mit mir ausgeht.«
Nellie wußte nicht, wer in diesem Moment verblüffter war — sie oder die drei Mädchen an ihrem
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