Heimliche Wuensche
Kleid bestand aus einem wundervollen silbernen Seidensatin, und der Rock war über und über mit Zuchtperlen bestickt. Das tief ausgeschnittene Oberteil hatte Ärmel aus silberfarbenen Spitzen. Es war das kostbarste und schönste Kleid, das Nellie jemals in ihrem Leben gesehen hatte.
Houstons Zofe ließ sich von Nellies Bedenken nicht irritieren. Binnen wenigen Minuten hatte sie Nellie aus dem verdorbenen Kleid herausgeholfen und sie in das silberfarbene gesteckt. Nellie stand vor dem Spiegel und betrachtete sich im Glas. Sie mochte nicht glauben, daß der Spiegel sie selbst zeigte.
»Und nun zum Schmuck«, sagte Elsie. Sie legte Nellie ein Kollier mit drei Reihen von Diamanten um, befestigte noch zwei große Solitär-Diamanten an Nellies Ohrläppchen und steckte ihr dann ein Diamantdiadem ins Haar.
»Bin ich das?« flüsterte Nellie vor dem Spiegel.
»Hinreißend«, sagte Elsie lächelnd. »Sie werden das schönste Mädchen auf dem Ball sein.«
Nellie blickte vom Spiegel fort. »Ich bin kein junges Mädchen mehr, und nicht schlank genug, um schön zu sein.«
»Mr. Montgomery hat aber an Ihrer Figur offenbar nicht das geringste auszüsetzen.«
»Wirklich nicht?« meinte Nellie erstaunt und blickte wieder in den Spiegel. Heute abend mochte sie selbst fast glauben, daß sie keine alte Jungfer war — keine dicke Frau, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatte.
»Nun scheinen Sie sich selbst ein bißchen zu gefallen, wie?« sagte Elsie lachend. »Ich hoffe, Sie verleben einen wunderbaren Abend.«
»Das hoffe ich auch«, flüsterte Nellie und lächelte, als sie an Terel dachte. Nun brauchte Terel nicht mehr unglücklich zu sein über dieses Mißgeschick mit dem Tintenfaß.
Wenn Nellie noch irgendwelche Zweifel hegte, so verflogen sie sofort, als sie nach unten ging und Jace ihr in der Halle entgegenkam. Zum erstenmal in ihrem Leben erfuhr Nellie, wie schön sich eine Frau fühlen kann, wenn ihre Schönheit sich in den Augen eines Mannes spiegelt. Jace blickte sie fast ehrfürchtig an, und Nellie spürte, wie sie sich verwandelte. Sie schwebte förmlich die letzten Stufen hinunter und sonnte sich in Jace’ Bewunderung.
»Sind diese Blumen für mich?« fragte sie, als sie vor ihm stand. Er war zu keiner Antwort fähig, sah sie nur unverwandt an.
Nellie lachte und nahm ihm dann die Blumen aus der Hand, während Elsie ein Nerzcape um Nellies Schultern legte.
»Nun geht«, sagte Elsie und trieb die beiden durch die Tür ins Freie.
Auf der Fahrt zu Taggerts Villa blickte Jace sie auf eine Weise an, als habe er sie noch nie zuvor gesehen. Und als sie schließlich das Ende der Einfahrt erreichten, hatte Nellie das Gefühl, als könnte Elsie recht haben — als sei sie tatsächlich die schönste Frau der Welt.
Sie waren die letzten geladenen Gäste, die zum Festball kamen, und als ein Lakai Nellie aus der Kutsche helfen wollte, schob ihn Jace fast gewaltsam zur Seite.
»Du bist die schönste Frau, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe«, flüsterte Jace. »Ich weiß nicht, ob ich möchte, daß andere Männer dich anschauen.«
Nellie lächelte ihm zu. »Ich bin sicher, du bist der einzige Mann auf dem Ball, der ein so dickes altes Mädchen wie mich für hübsch hält«, erwiderte sie. Doch zum erstenmal glaubte sie selbst nicht an ihre Worte. Heute abend, in diesem Kleid, fühlte sie sich weder alt noch dick.
Im Ballsaal blickten die Männer sie tatsächlich genau so an, wie Jace das in der Kutsche getan hatte.
»Ist das Nellie Grayson?« fragte ein Mann.
»Das ist Terels Schwester?«
»Terel wer?«
Lachend drängten sich die Männer um Nellie und Jace.
»Nun?« fragte Houston ihren Gatten, als Kane Nellie anstarrte. »Hattest du nicht neulich etwas von einer >fetten Lady< gesagt?«
Kane grinste. »Fett und fett ist eben nicht dasselbe. Sie sieht wie ein Pfirsich aus — so rund und reif wie ein Pfirsich.«
Houston schon ihren Arm unter den ihres Gatten. »Da ich deine Vorliebe für Pfirsiche kenne, denke ich, es wäre besser, wenn du dich von Nellie fernhieltest.«
Er lächelte auf seine Frau hinunter. »Ich wette, diese Terel wird nicht gerade begeistert sein über das Aussehen ihrer älteren Schwester.«
»Ich fürchte, du hast recht«, sagte Houston leise.
Es dauerte eine Weile, ehe Terel begriff, wie schnell die Menge ihrer Bewunderer sich auflöste. Seit sie den Ballsaal betreten hatte, war sie das beliebteste Mädchen im Raum gewesen. Man hatte sie ununterbrochen zum Tanzen
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