Heimliche Wuensche
Nellie, würdest du mir bitte das Glas hierherbringen? Aber sei vorsichtig, damit du die Tinte nicht verschüttest.«
Immer noch mit den Gedanken bei Jace weilend, ging Nellie lächelnd zum Tisch neben dem Bett und nahm dort die Flasche mit indischer Tinte hoch. Sie bemerkte nicht, wie Terel heimlich den Sack mit den Murmeln öffnete und diese über den Boden rollen ließ. Mit einem Hustenanfall übertönte sie das Geräusch der rollenden Glaskugeln. Nellie rannte besorgt zu ihrer Schwester. Sie hatte noch keine drei Schritte gemacht, als sie auf eine Glasmurmel trat und stolperte, dann seitlich gegen Terels Bett stürzte.
»Nellie!« rief Terel. »Schau dich nur an!«
Entsetzt blickte Nellie auf ihr schönes Gewand hinunter, auf die Tinte, die sich nun in dem hellblauen Seidenstoff ausbreitete. Das Kleid war unwiderruflich ruiniert.
»Zieh es rasch aus. Wir werden die Tinte auswaschen und . . .«
»Es ist verdorben«, flüsterte Nellie, stand auf und bückte sich dann nach einer Glasmurmel.
»Wo kommen die denn her?« fragte Terel.
»Sie lagen auf dem Boden«, sagte Nellie, zwei Murmeln aufhebend.
Terel schlug sich entsetzt mit der Hand auf den Mund. »Oh, nein, Nellie — bist du etwa darauf ausgerutscht? Ich habe die Murmeln für die Kinder der Taggerts gekauft. Ich dachte, wenn ich ihnen die Murmeln schenke, würden mir die Taggerts vielleicht verzeihen, daß sich diese beiden Jungen auf dem letzten Ball meinetwegen geprügelt haben. Ich hätte nie gedacht . . .«
Terel sagte noch eine Menge mehr; aber Nellie hörte ihr nicht zu. Ein Teil von ihr sagte, sie hätte es eigentlich wissen müssen, daß etwas passieren würde, was ihr den Abend verdarb. Sie hatte sich viel zu sehr auf diesen Ball gefreut, und deshalb durfte er ihr gar nicht vergönnt werden. Ein anderer Teil von ihr war empört. Wie hatte Terel ihr nur so etwas antun können?
»Es war ein Unfall«, murmelte sie zu sich selbst.
»Natürlich war es ein Unfall«, sagte Terel ungehalten. »Du glaubst doch nicht etwa, daß ich . . . daß ich . . . daß ich es fertigbringen würde, dir . . .« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Nellie, wie kannst du mich nur so hassen, daß du auf den Gedanken kommst, ich könnte dein Kleid absichtlich ruiniert haben? Warum sollte ich so etwas denn tun?«
Nellies Ärger verflog, als sie Terel umarmte. »Es tut mir leid. Natürlich war es ein Unfall. Natürlich würdest du so etwas nie mit Absicht getan haben.« Sie blickte auf ihr Kleid hinunter. Nun würde sie nicht auf den Ball gehen können, weil sie kein Kleid mehr besaß, das auch nur im entferntesten geeignet gewesen wäre für einen Festball.
Terel drückte Nellie von sich weg. »Wir müssen uns beeilen und etwas für dich finden, das du heute abend tragen kannst. Die Männer werden bald hier sein.«
»Ich habe nichts anderes, was ich anziehen könnte«, sagte Nellie müde.
»Dann wirst du eben eines von meinen Kleidern tragen müssen. Du kannst mein grünes anziehen. Die Farbe würde dir stehen.«
Nellie suchte ihre Würde zu bewahren. »Ich könnte unmöglich eines von deinen Kleidern tragen. Ich bin zu . . . ich habe eine andere Größe als du.«
»Oh«, sagte Terel, Nellie von Kopf bis Fuß betrachtend, »ich glaube, daß es nicht einmal passen würde, wenn ich die Säume herausließe. Dann müssen wir uns eben ein Kleid leihen. Überlege mal, wer in der Stadt deine Größe haben könnte.«
»Niemand hat meine Größe«, erwiderte Nellie, mit den Tränen kämpfend. »Niemand.«
»Mrs. Hutchinson«, meinte Terel nachdenklich. »Ja, genau das ist es. Wir werden zu Mrs. Hutchinson gehen und . . .«
Mrs. Hutchinson war eine schreckliche alte Frau, die am Rand der Stadt wohnte. Sie mußte mindestens dreihundert Pfund wiegen, kleidete sich wie ein Mann und roch wie die Schweine, die sie züchtete. Man munkelte, daß sie in ihren jungen Jahren eine Maultiertreiberin gewesen sei.
»Nein«, sagte Terel. »Mrs. Hutchinson würde bestimmt kein Ballkleid besitzen. Aber wer in der Stadt könnte noch deine Größe haben?«
Die Muskeln in Nellies Hals arbeiteten heftig, als sie sich nach Kräften bemühte, nicht loszuheulen. War sie wirklich so fett wie Mrs. Hutchinson?
Terel drückte ihre Schultern nach hinten. »Ich werde nicht zum Ball gehen. Wenn meine Schwester nicht gehen kann, gehe ich auch nicht.«
Nellie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. »Das ist lächerlich. Natürlich wirst du auf den Ball gehen.«
Terel begann
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