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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Weimer
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Mann.«
    »Mit einem Mann? Mit einem Mann-Mann?«
    »Nein, sie soll mit ihrem neuen Berater im Stadion gewesen sein.«
    »Im Stadion?«
    »Ja, inkognito.«
    »Inkognito? Sie machen Scherze.«
    »Nein, die Quelle ist sauber, ich lasse gerade die Überwachungsaufnahmen der Polizei auswerten, vielleicht entdecken wir da was. Die Hessen helfen uns. Außerdem versuchen wir, ihren Fahrer anzusprechen, der ist Ossi, sein Vater war bei der Stasi.«
    »Gut, gut.«
    Der Fahrer der Kanzlerin heißt Ronny. Ein grober Mann mit der Neigung zu roten Flecken im breiten Nacken. Dass er wie die Kanzlerin aus dem Osten kommt, merkt man ihm an. Denn er heißt Ronny, er spricht sächsisch, er ist Fahrer, und sein Vater war Sozialist, wie so viele in Ronny-Land. Eigentlich nannte sich jeder Sozialist, der etwas werden wollte. Sein Vater aber ist es geblieben, er wettert gegen die Großgrundbesitzer oder gegen die Amerikaner oder gegen den Bischof oder gegen alle zusammen. Und wenn sein Vater von Amerikanern, Großgrundbesitzern und Bischöfen spricht, dann klingt das für Ronny immer wie eine Geschichte von der Rückseite des Mondes. Manchmal begrüßt er seinen Vater neckend mit »Sozialist«, dann lächelt der melancholisch. Das gefällt Ronny. Schließlich ist er so gar kein Sozialist. Er sucht mehr Gefühl als Gerechtigkeit, mehr Frauen als Feminismus, mehr Autos als Autonomie. Seine Freunde sind allesamt keine Sozialisten. Schon das Wort erinnert ihn an alte Männer, deren Welt noch Erschießungskommandos, aber weder Handys noch Mountainbikes noch Flachbildschirme kannte. Ronny fährt am Wochenende Cabrio, und die Armuts- und Kampfgeschichten seines väterlichen Sozialisten kommen ihm wie Gespenstererzählungen vor. Für ihn hat Politik keine Bedeutung, sozialistische schon gar nicht, klingt die in den Ohren Ronnys doch nach Grimm und Gestern – oder, schlimmer noch: nach Langeweile. Ronny geht es gut, er verbringt seine Freizeit als Computerspieler und findet Apple besser als Microsoft. Er geht kaum wählen. Neulich erzählte ihm sein Vater, er habe das erste Mal in seinem Leben bürgerlich gewählt, die Kanzlerin, weil die Sozialisten korrupt geworden seien, und die Kanzlerin sei ja wenigstens aus dem Osten.
    Das tat Ronny dann doch leid. Denn er spürt, dass seinem Vater die Politik mehr bedeutet hat als ihm Apple jemals bedeuten kann. Sein Vater kommt ihm auf einmal wie herausgefallen vor, herausgefallen aus seiner Zeit, die Ronnys nicht war, in der er seinen Vater aber sicher wähnte.
    Ronny findet die Kanzlerin in Ordnung. Er wählt sie nicht, es reicht, dass er sie fährt. Sie ist freundlich zu ihm, aber nicht zu freundlich. Sie schätzt sein professionelles Desinteresse an ihr und spürt, dass er das nicht einmal spielen muss.
    An diesem Mittwoch fährt er sie nach der Kabinettssitzung zum Schloss Bellevue hinüber. Ein Mittagessen mit dem noch amtierenden Bundespräsidenten steht an. Die Fahrt dauert wenige Minuten. Keine Zeit für Aktenstudium oder Telefonate. Also fragt die Kanzlerin Ronny:
    »Sind Sie eigentlich Fußballfan?«
    »Aber klar doch«, erwidert er etwas überrascht.
    »Für welchen Verein schlägt Ihr Herz?«
    Ronny muss an seinen Vater denken und dass sie sich in dieser Frage einig sind: »Hansa Rostock.«
    »Die werden irgendwann wieder in der Bundesliga spielen«, gibt ihm die Kanzlerin zurück, und er muss lachen.
    »Das sagt mein Vater auch immer. Aber dass Sie das so sehen?« Ronny wundert sich.
    Netzer wundert sich auch über die Wissbegierde seiner Schülerin. Vor allem dass sie den Kicker und 11 Freunde liest, findet er unglaublich.
    »Frau Kanzlerin, darf ich Ihnen heute die wirtschaftlichen Zusammenhänge der Bundesliga erläutern?«, fragt er im Tonfall des Illusionszerstörers.
    Sie schiebt den Kicker zur Seite: »Legen Sie los.«
    Netzer hebt an und spricht plötzlich wie ein Börsenanalyst von Umsätzen, Gewinnmargen, Wachstumspotenzialen. Immer mehr Manager und Unternehmer prägten die Fußballkultur. Trainer stünden in Anzügen an der Seitenlinie.
    »Spieler sind Investitionen, Sponsoren gelten als systemrelevant. Der Fußball gewinnt an Professionalität und verliert an Leidenschaft …«
    »Das habe ich in Frankfurt anders erlebt!«
    »Ja, es gibt natürlich noch echte Fan-Leidenschaft, aber im Grunde ist das Fußballsystem eine große Börse.«
    Netzer kommt ins Referieren. Inzwischen stünden bei Hertha BSC Berlin, FC St. Pauli, 1. FC Nürnberg, VfL Bochum, Hannover 96, Energie Cottbus,

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