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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Weimer
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Fußball, dann im Parlament. Die Fans aber sind auf unserer Seite, sie rebellieren gegen allzu emotionsfreie politische Korrektheit und den Triumph des Wirtschaftsliberalismus über das echte Gefühl. Unsere Fußballfans sind die besten Konservativen, die es überhaupt gibt. Sie haben unsere Unterstützung verdient. Wir machen einen Wahlkampf für den guten, alten Fußball. Deutschland wählt das Leder, nicht das Plastik.«
    Im Fraktionssaal bleibt es eine Sekunde lang still, weil die Kanzlerin so noch nie geredet hat. Dann applaudieren die Abgeordneten ein zweites Mal, jetzt aber mehr höflich als begeistert. Denn die Konservativen hörten nur die Absage an die Gipfelkreuz-Inititative, der Wirtschaftsflügel ist verunsichert über die Schelte des Pekuniären, die Altvorderen finden das Fußballthema niedlich bis abwegig, die Karrieristen hören eine Kampfansage an die Liberalen.
    Im Saal bricht ein großes Palaver los:
    »Die steuert auf schwarz-grün zu.«
    »Haste das gehört, von wegen Leder statt Plastik?«
    »Ich finde es gut, dass sie den Grünen mal ein emotionales Feld streitig machen will.«
    Keine sechs Minuten dauert es, da haben Abgeordnete aus NRW schon Journalisten angerufen, und weitere 38 Minuten später steht in dem Onlineportal handelsblatt.de zu lesen: »Strategiewechsel in der Union: Kanzlerin will Schwarz-Grün. Wahlkampf mit Fußballthemen.«
    »Ich hab’s gewusst«, röhrt der Generalsekretär dem Fraktionschef ins Telefon. »Sie hat eine eigene Agenda. Sie will uns ausgrenzen. Mit den Grünen! Da machen wir keinen Stich mehr.«
    »Und Fußball als Wahlkampfthema, das ist so lächerlich!«
    »Apropos, haben Sie von den Hessen was gehört?«
    »Habe ich, es gibt eine Aufnahme der Überwachungskameras, die zu den Aussagen unseres Informanten passt. Sie war im Stadion, mit einem fremden Mann.«
    »Na also, das isses!«
    »Was isses?«
    »Na, die Kanzlerin mit einem Mann geheim in Frankfurt.«
    »Ach so, genau, von wegen Werte …«
    »Aber wer ist es denn?«
    »Wissen auch die Hessen nicht, er war vermummt.«
    »Egal, Mann ist Mann, Frankfurt ist Frankfurt, das fliegt.«
    Die Kanzlerin ist von der Resonanz ihrer Fraktionsrede überrascht. Die Nachrichtenagentur dpa meldet noch am Abend eine »Schlussstrich-Rede für Schwarz-Gelb«. Der Parteivorsitzende der Liberalen ruft sie an und spricht von Verrat, er werde als Friedensaußenminister in einen Parteienkrieg gezwungen, man werde jetzt im Wahlkampf auch keine Rücksichten mehr nehmen und gegen grüne Wagnisse polemisieren.
    »Und Ihren Fußball können Sie sich in die Haare schmieren«, ätzt er schließlich und legt auf.
    Die Tageszeitungen am nächsten Tag haben alles schon gewusst: »Für alle Kenner in Berlin war der Wechsel von Gelb auf Grün nur eine Frage der Zeit«, onkelt der Tagesspiegel . »Volltreffer: Die Kanzlerin geht in Führung«, applaudiert die Bild -Zeitung. Die taz titelt: »Kanzlerin entdeckt den grünen Rasen«. Die Welt wähnt »einen strategischen Schachzug«, während die Süddeutsche »Ohrfeige für die Liberalen« kläfft. Auf Phoenix erklärt ein emeritierter Politologe aus Bonn, dass die strategische Besetzung des Themas Fußballs »unwiderstehlich« sei. »Unter dem Fußballrasen berühren sich die tektonischen Gefühlsplatten von Unions- und Grünenwählern.« Die FAZ findet hingegen alles »substanzlos« und jede Schlussfolgerung »voreilig«. Nur das Feuilleton der FAZ druckt einen pathetischen Essay über den »medial fühlbaren Naturalismus der schwarz-grünen Republik«, das zwingend komme, links und online und gut werde und dann auch wieder säkular untergehe.
    Während die Medien die grüne Fußballwendung insgesamt freundlich bewerten, kommt es innerhalb der Kanzlerinnenpartei zu Widerstand. Es raunen plötzlich die Ministerpräsidenten in Hintergrundrunden: »Sie verrät das Konservative. Aber damit wird die Kehrseite ihrer Weichspülpolitik, die poröse Substanz, sichtbar.« In der evangelischen Akademie Tutzing analysiert der Politologe Arnulf Baring mit sorgenvoller Miene, was die Frankfurter Rundschau tags darauf ganzseitig nachdruckt: »Machbarkeiten und Minimalkompromisse tragen naturgemäß die fahlen Konturen des Mittelmaßes.«
    Der hessische Landesverband lässt durch seinen Ehrenvorsitzenden erklären: »Auch eine Politik der kleinen Schritte braucht ein großes Ziel, wohin denn die vielen Schritte führen sollen.« Und ein Leitartikel der Welt befindet, es fehle der Kanzlerin an

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