Heimspiel
MSV Duisburg, SpVgg Greuther Fürth, 1860 München, SV Wehen Wiesbaden, Karlsruher SC, Borussia Mönchengladbach oder dem FC Augsburg Unternehmer an der Vereinsspitze. Red Bull kaufe sich gerade Leipzig – »und Hoffenheim ist das Spielzeug eines Milliardärs. Wie in England.« In Leverkusen mit Bayer und in Wolfsburg bei VW bestimmten gleich ganze Konzerne den Kurs.
»Und sie alle spielen nicht mehr im Waldstadion, sondern in der Commerzbank-Arena, im Signal Iduna Park oder in der Allianz Arena …«
»Klingt wie linkes Kritikgesäusel. Wissen Sie, das stimmt zwar alles, aber die Kraft der Sache kommt nicht aus dem Geld,« kontert sie. »Ich kenne diese Kritik, frustrierte, schlecht bezahlte Feuilletonisten haben es perfekt beschrieben. In Wahrheit erzählt sie etwas von ihrer eigenen Armut. Hier, lesen Sie!«
Sie schiebt Netzer die Kopie eines Zeitungsartikels zu. Gelb markiert die Stelle: »In den modernen Fußballtempeln riecht es nicht mehr nach nassem Gras und Bier. Es duftet nach Chanel und Lachshäppchen. Alles ist überdacht und verglast, Fußball ist auf dem Weg zum regenlosen, reglosen, unsinnlichen Spiel. In den VIP-Logen schlürft die Schickeria ihren Event-Prosecco – und in den Kurven hält man sich noch ein paar Tausend ›richtige Fans‹, um Stimmung zu haben. Denn der Langnese-Familienblock verströmt doch eher Sandmännchen-Atmosphäre.«
Netzer nickt, fühlt sich bestätigt und sucht fragend ihren Blick. Darauf sie:
»Wissen Sie was? Das ist Spielverderberei. Feuilletonisten beschreiben im Grunde immer nur ihr eigenes trostloses, entzaubertes Leben in schlecht gelüfteten Redaktionsbüros mit kargen Gehältern.«
»Das mit den Gehältern mag sein, aber der Fußball wird tatsächlich immer mehr zum kommerziellen System.«
»Ja, aber das macht den Fußball nicht aus. Das ist eine Welt der Sehnsüchte, unbezahlbar, sag ich Ihnen.«
Netzer muss nun wirklich schmunzeln, als Romantikerin hat er sie bislang noch nie erlebt.
»Es ist schön, dass Sie das so sehen.«
In der Fraktionssitzung am folgenden Tag kommt es zu einem Grummeln der Konservativen, weil die Kanzlerin deren Initiative »Deutschland braucht mehr Gipfelkreuze« nicht offen unterstützen will. Der Sitzungssaal ist voll besetzt, die Luft schon stickig, es rumort.
»Wir vernachlässigen unsere Stammwähler. Die konservative Seele braucht Nahrung«, fasst ein Unionsabgeordneter aus Westfalen Mut.
»Wir müssen den Kulturkampf annehmen, auf sympathische Weise. Gipfelkreuze sind die perfekte Symbiose von Natur und Kultur, unserer Kultur!«, springt ihm die Vorsitzende der katholischen Landfrauen bei und bekommt so viel Applaus, dass manche ängstlich in das maskenhafte Gesicht der Kanzlerin schauen. Der Fraktionschef und der Generalsekretär suchen sich wieder mit Blicken, ehe Ersterer aufsteht und erklärt:
»Liebe Freunde, die Gipfelkreuze sind eine gute Sache für uns und für unser Land. Sie sind Symbolthema, aber brauchen wir die Kanzlerin dazu? Lasst sie uns vor den Kulturkämpfen schützen.« Die Formulierung ist zweideutig gewählt und wird auch so verstanden. Im Raum kehrt gespannte Ruhe ein, alle Blicke richten sich auf sie.
Langsam erhebt sie sich, schiebt das Mikrofon vor ihren Mund und hebt im Ton der schlichtenden Mutter an:
»Liebe Freunde. Ich brauche keinen Schutz und ihr auch nicht. Wir sind die Partei der Gipfelkreuze«, hier gönnt sie dem Saal eine Pause zum Inhalieren ihrer Identität, und der dankt es ihr mit spontanem Applaus. Sie schaut langsam im Kreis herum und fährt erst dann fort: »Und natürlich verfolge ich wohlwollend euer Engagement. Ich muss mich für den Wahlkampf aber entscheiden, welche Akzente wir setzen. Und ich habe mich für einen anderen entschieden, für den Fußball nämlich. In wenigen Wochen beginnt die Weltmeisterschaft, Deutschland wird in der Hochphase des Wahlkampfes kein anderes Thema kennen. Die euphorisch aufgenommene Kandidatur Beckenbauers hat die Gefühlslage der Nation in beeindruckender Weise bloßgelegt. Und, liebe Freunde, ich sage euch, auch auf diesem Feld erwartet uns ein Kulturkampf. Es geht um den Kampf der Werte gegen das Geld. Und wir sollten auf der Seite der Werte stehen. In unseren Stadien wird alles mittig-pekuniär-liberal. Ein Indikator für den Zeitgeist der Gesellschaft. Wie in der Berliner Republik plötzlich das Parteienspektrum aufbricht, so schimmern auch die politischen Farben der Vereine bunter. Die Volksparteiendominanz verschwindet zuerst im
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