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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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Neuigkeiten aus, doch hinter den Worten ist dieser dunkle Klang, der einfach mitschwingt. Als wäre jeder Farbe noch ein Tropfen Trauer beigemischt. Man kann es nicht sehen, aber man spürt die drückende Last der Sorge, man spürt den Jammer, aber als würde das alles nur wahrer und schlimmer werden, wenn man es ausspricht, schweigen die beiden darüber. Und nicht nur das, Ceyda beteuert häufig, dass es ihr gutgeht, besser als im Sommer, sagt sie sogar an manchen Tagen, wenn sie sich stark genug fühlt, um die Wahrheit zu biegen. Mehr wird über dieses Thema nicht gesprochen. Was würden Worte auch helfen?
     
    Wie schon zur Hochzeit seiner ersten Tochter lässt Fuat auffahren, was die Veranstalter von Hochzeiten zu bieten haben. Cola und Fanta für die Kinder, bis ihnen schlecht wird, Whisky, Rakı für die Erwachsenen, bis sie nicht mehr sitzen können, genug Speisen, um eine Armee zu ernähren, Girlanden, Luftschlangen, bunten Kitsch auf allen Tischen, Livemusiker, die sich rühmen, nicht den Einheitsbrei zu spielen, und auf die Wünsche der Gäste eingehen können, ein Team mit insgesamt vier Videokameras, um das Ereignis festzuhalten, und dazu noch zwei professionelle Fotografen.
    Man kann Fuat vieles nachsagen, aber nicht, dass ihn bei solchen Gelegenheiten der Geiz packt. Wofür sonst hat er sich geplackt, wenn er es nicht zeigen kann?
    Braungebrannt, in einem schwarzen Anzug, den Gül zum ersten Mal sieht, ein blütenweißes Hemd, eine Krawatte mit dezentem Fischgrätenmuster, ein wenig sieht er aus wie ein Mafiadarsteller in einem Film. Den ganzen Abend stolziert er |268| herum, schüttelt Hände, küsst Wangen, gibt den Galan, tanzt mit den Damen, posiert für Fotos, und erst als Gül diese Posen sieht, begreift sie, was sie an ihrem Mann irritiert. Es ist nicht die Höflichkeit, nicht der etwas aufgesetzt wirkende Charme, nicht dieses weltmännische Getue, sondern die Tatsache, dass er gar nicht da ist.
    Er läuft herum und kümmert sich um die Gäste, er redet, scherzt und trinkt, aber spätestens wenn er einen Fotoapparat oder eine Kamera in seiner Nähe sieht, merkt man, dass dies alles wirklich eine Rolle ist, dass er nur spielt. Er ist nicht mit all seinen Sinnen hier, sondern irgendwo anders, dort, wo die Filme und Fotos gezeigt werden.
    Sein Körper ist hier, denkt Gül, nur sein Körper.
    Wie bei jeder Hochzeit außer seiner eigenen sieht Fuat in den frühen Morgenstunden, als die meisten schon gegangen sind, derangiert aus. Er hat Schwierigkeiten, seinen Blick zu fokussieren, die Worte stolpern über seine Zunge, als wäre sie Glatteis, sein Krawattenknoten ist längst schief und sein Hemd zerknittert. Mittlerweile bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als das letzte bisschen Geist, das er noch zu fassen kriegt, hier zu halten und nicht auf die Reise nach irgendwohin zu schicken.
    – Wie schade, sagt er zu einem Gast, der sich in einem ähnlichen Zustand befindet, wie schade, dass ich nur zwei Töchter habe. Hätte ich gewusst, wie gut mir diese Hochzeiten gefallen, hätte ich viel mehr Kinder gemacht. Viel mehr. Eine ganze Fußballmannschaft hätte ich gezeugt, mit Ersatzspielern. An Kraft fehlte es ja nicht. Aber wir haben uns den Rücken krummgebuckelt in dieser Fremde. Was für ein Leben die Reichen doch haben, essen, ficken und schlafen und sich nie Sorgen machen. Die müssen nicht zum Schichtdienst, die können den ganzen Tag auf ihrer Frau liegen und sich dann abends volllaufen lassen. Da kommt die gute Laune von ganz alleine. Und wenn du dann noch eine Schlanke hast, die meisten |269| dieser reichen Tussen sind ja nicht viel dicker als ein Spieß von einem Schaschlik, ach, ach, was für ein Leben. Komm, lass uns noch einen heben auf dieses Fest hier. Was denn, du wirst doch nicht schon schlappmachen?
    – Wann wirst du nachkommen?, fragt Gül ihren Mann später, als dieser ungelenk aus seinem Anzug steigt. So schwer geladen hat sie ihn nun schon lange nicht mehr gesehen.
    – Ach, was weiß denn ich?, leiert es aus seinem Mund. Komm du doch zurück nach Deutschland.
    Gül sieht ihn an. Genauso gut hätte er sagen können: Ich werde nicht mehr hierherkommen.
    – Nach Deutschland? Ich habe die Rückkehrerhilfe in Anspruch genommen, ich habe keinen Pass mehr und überhaupt, was soll ich in Deutschland?
    – Genau, was willst du denn in Deutschland? Also nerv mich nicht mit diesen Fragen. Wir haben unsere Tochter verheiratet, du hast Tränen vergossen, weil sie nun aus dem Haus ist, wir

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