Heimstrasse 52
aber sie ist in keinem Hafen. Sie ist nicht reich geworden, wie sie es sich gewünscht hat, sie misst sich mit den Kollegen in der Schule, mit den Nachbarn, von denen sie glaubt, sie würden auf sie herabsehen, weil sie aus Anatolien kommt, sie spurtet mit in dem Wettlauf im Viertel, wo es darum geht, wer was am Handgelenk, an den Ohren oder am Hals trägt, wessen Kostüm aus Europa kommt und wer sich ein Auto leisten kann. Nein, dort schert sich niemand darum, ob Melike auf der Straße raucht oder ob sie in Männergesellschaft gesehen wurde.
Die Hochzeiten stellen vielleicht Weichen, wird Gül später denken. Bei ihrer Hochzeit war es möglicherweise schon vorauszusehen, dass dieser Mann dem Ruf des Geldes nach Deutschland folgen würde. Bei Ceydas Hochzeit war es vielleicht vorauszusehen, dass Gül in die Türkei gehen würde, dass die Zeit in der Heimstraße nun vorüber war, dass Ceyda ihren eigenen Weg gehen würde.
Doch bei Cerens Hochzeit war es mit Sicherheit vorauszusehen, wird sie später denken, es war vorauszusehen, welche Veränderungen das mit sich bringen würde. Aber die Wege scheinen nur klar, wenn man stehenbleibt und sich umblickt. Wenn man nach vorne schaut, ist da nur Nebel.
Cerens letztes Schuljahr ist zugleich Mecnuns letztes Jahr an der Universität, danach wird er Deutschlehrer sein, und er |263| weiß, dass er ohne einen Fürsprecher oder Bekannten beim Ministerium wahrscheinlich zunächst in den Osten des Landes geschickt werden wird.
– Ceren ist dann fertig mit der Schule, siehst du eine Möglichkeit, dass wir diesen Sommer heiraten?, fragt er Gül. Ich weiß, es wäre klüger gewesen, wenn wir das besprochen hätten, solange Onkel Fuat noch da war. Aber … ich habe mich nicht getraut.
– Ich habe auch schon im Sommer daran gedacht, sagt Gül, aber es ist vielleicht besser so. Er hätte glauben können, das sei ein abgekartetes Spiel. Man muss die Männer in dem Glauben lassen, dass sie entscheiden.
Sie merkt erst, wem sie das gerade gesagt hat, als es schon aus ihrem Mund ist. Lächelnd schaut sie Mecnun an. Möglicherweise ist er anders. Ja. Ceren hat Glück gehabt.
– Ich werde ihn am Telefon bitten zu kommen, wir hätten einen ernsthaften Bewerber. Ihr müsst eure Rolle gut spielen, er darf nicht merken, dass ihr euch so lange kennt. Denkt gut nach vorher, macht keine Fehler, blamiert mich nicht und vor allem: Legt euch nicht selbst Steine in den Weg.
Fuat kommt mit dem Flugzeug und bleibt nur drei Tage. Als er Mecnun sieht, kann er sich nur noch dunkel erinnern, dass er diesen jungen Mann schon mal beim Opferfest gesehen hat, die Worte des seltsamen linken Studenten sind schon fast aus seinem Gedächtnis verschwunden wie vieles, was ihm nicht angenehm erscheint.
Mecnuns Eltern treten bescheiden auf, schmeicheln ein wenig Fuats Eitelkeit, machen Komplimente über das Haus und halten nicht hinterm Berg damit, dass sie finanziell schlechter gestellt sind als die Yolcus, doch ihr Sohn wird bald Beamter werden, wenn man mit einem Beamtengehalt auch nicht weit kommt in diesem Land, doch die Kinder fühlen sich gegenseitig angezogen, und das erscheint ihnen wichtig, sie hoffen, dass die Sache Fuats Zustimmung finden wird, und goldene |264| Armreife, dick wie die Beine eines Babys, würden sich mit Sicherheit finden, um sie Ceren bei der Hochzeit ums Handgelenk zu legen. Fuat überlegt nicht lange und gibt den beiden seinen Segen.
Nachdem Mecnun und seine Eltern fort sind, schenkt Fuat sich eine Whisky-Cola ein, lehnt sich zurück und schaut aus, als hätte er gerade ein gutes Geschäft abgeschlossen. Seinen dunkelblauen Anzug hat er an, und die Bräune in seinem Gesicht, die kann nicht noch vom Sommer stammen. Er sieht glücklich aus, und Gül fragt sich, wie es kommt, dass er auf die Sonnenbank geht, und ob er sich wirklich freut, dass seine Tochter einen so beachtenswerten Mann heiraten wird.
– Es ist schön hier, sagt Fuat, wie lange war ich nicht mehr im Winter hier. Diese Verlobung war eine gute Gelegenheit.
– Das kannst du ja immer haben, sagt Gül, ermuntert durch diese Sätze und seine Gelassenheit. Es dürfte wohl an der Zeit sein, Deutschland den Rücken zu kehren, fügt sie gar hinzu.
Einen Lidschlag lang sieht Fuat so aus, als sei ihm passiert, was Mecnun und Ceren so gut vermieden haben, als habe er sich verplappert. Einen Lidschlag lang, doch vielleicht täuscht Gül sich auch.
– Ja, sagt Fuat, ja, Deutschland den Rücken kehren, das werde ich. Das
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