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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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werde ich.
    Er nimmt noch einen Schluck aus seinem Glas, und seine Mundwinkel heben sich.
    – Nicht mehr lange, mit Gottes Hilfe, nicht mehr lange, sagt er und schaut dabei auf die Flüssigkeit in dem Glas.
    Eine halbe Stunde später ist er mit Gül im Schlafzimmer, und Gül merkt, dass irgendetwas anders ist. Vielleicht ist es die lange Abstinenz, vielleicht wirkt sich die Sonnenbank so aus, vielleicht ist es, weil er heute Abend so glücklich wirkte, sie weiß es nicht, ebenso wenig, wie sie die Veränderung benennen kann. Er ist nicht zügelloser oder heftiger, nicht zärtlicher oder einfühlsamer, er ist nur anders.
     
    |265| – Von dir hätte ich das nicht gedacht, sagt ihre Englischlehrerin zu Ceren in der Pause. Von allen hier, aber von dir nicht. Schämst du dich nicht?
    – Was … was?, stammelt Ceren.
    Ihr letztes Schuljahr. Nach all den Anfangsschwierigkeiten, nachdem sie so oft zur Quelle der Belustigung geworden ist, so oft nicht wusste, wo es langgeht, nachdem ihr so häufig Pointen und Anspielungen erklärt werden mussten, nachdem es ihr schon zur Gewohnheit geworden war, zu spüren, wie das Blut in ihren Kopf schießt, kann sie sich nunmehr frei und sicher in der Schule bewegen. Hat sie gedacht, bis ihre Englischlehrerin sie auf dem Gang abgefangen hat.
    – Was … was? Tu nicht so unschuldig. Du hast mich vielleicht nicht bemerkt, aber ich habe dich gesehen. Mitten auf der Hauptstraße. Mit einem jungen Mann. Hand in Hand auch noch.
    Cerens Züge entspannen sich. Sie freut sich, dass ihre Lehrerin gesagt hat: Von dir hätte ich das nicht gedacht. Von allen hier, aber nicht von dir. Ceren freut sich. Ihr Ruf ist tadellos.
    – Der junge Mann, Mecnun, das ist mein Verlobter, sagt sie und zeigt der Lehrerin den Ring an ihrem Finger.
    – Aha … ach so …
    Kurz sucht die Lehrerin nach Worten, dann lächelt sie und sagt:
    – Entschuldige. Du hast es gut, noch nicht aus der Schule, aber schon einen stattlichen Mann an der Hand. Gratuliere. Was macht er denn, dein Mecnun?
    – Er wird Deutschlehrer. Nun stockt die Lehrerin erneut.
    – Möget ihr glücklich werden, sagt sie schließlich, alles andere ist Nebensache, alles andere sind leere Worte, möget ihr glücklich sein, denn mehr braucht es nicht.
    Jedes Wochenende kann man nun Mecnun und Ceren auf der Straße sehen, Mecnun geht bei den Yolcus ein und aus, |266| ohne dass er sich nach Zeugen umschauen müsste, die beiden können Arm in Arm die Hauptstraße entlanggehen, und die Wärme, die sie einander so geben, lässt sie den Winter fast vergessen. Im Kino legt Ceren ihren Kopf auf Mecnuns Schulter oder eine Hand in seinen Nacken.
    – Verlobt zu sein kommt uns jetzt wie ein großes Versprechen vor, sagt Mecnun, es scheint jeden Tag die Sonne, und wir sind verliebt, wir lachen über die Fehler des anderen und sind bereit, alles so anzunehmen, wie es kommt. Wir können uns nicht vorstellen, uns gegenseitig zu verletzen, doch auch das wird geschehen. Es ist alles schon vor uns passiert, und es wird auch nach uns passieren, aber ich möchte, dass du eins weißt: Ich werde bei dir bleiben, ich werde mich bemühen, dass wir glücklich sein können. Ich werde bei dir bleiben, so lange ich lebe, dessen kannst du dir sicher sein.
    Er wird sein Versprechen einhalten. Jedoch ganz anders, als er sich vorgestellt hat.
    Die Sätze, Pläne, Ahnungen, Versprechungen und üblen Träume bekommen ihren Sinn erst, wenn man die ganze Geschichte sehen kann.
    Cerens Augen haben einen fast fiebrigen Glanz in diesem Winter, einen Glanz, der sich im Frühling mit der Vorfreude auf den Sommer und die Hochzeit noch verstärkt. Sie wird nicht krank, kein Herpesbläschen verunstaltet ihr Gesicht, und sogar ihre Noten verbessern sich. Gül ist glücklich, Ceren so zu sehen. Jeden Abend, wenn sie zu Bett geht, spricht sie dem Herrn ihren Dank aus. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal über so lange Zeit abends angenehm müde, ohne jeglichen quälenden Gedanken in ihrem Bett gelegen hat.
    Die Tage, an denen sie mit Ceyda telefoniert, stechen aus dieser Zeit heraus. Wie geht es? Gut. Und bei euch? Auch gut. Der Alltag halt. Ich kümmere mich um den Kleinen, Adem geht arbeiten, Duygu kann sich ganz gut allein beschäftigen. |267| Deine Schwester wird immer besser in der Schule. Soll ich sie dir mal geben?
    Ceydas zweites Kind ist ein Junge geworden, er ist gerade mal drei Monate alt, sie haben ihn Timur genannt, nach seinem Opa.
    Mutter und Tochter tauschen

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