Heimstrasse 52
sind schneller vergangen als ein Blinzeln, sondern vor allem die Zeit am Flughafen. Aber seitdem geht alles langsam, quälend langsam, die Zeit schleicht, als hätte jemand Gottes Uhrwerk blockiert.
Gül hatte die in Deutschland mühsam abgehungerten Kilos wieder zulegt in diesem Sommer, Ceren hatte inzwischen begriffen, wie weit der Weg war von hier bis zur Heimstraße, und Fuat hatte endlich das Grundstück abbezahlt, auch wenn er nicht genug Geld hatte, um mit dem Bau des Hauses zu beginnen. Ceren war überrascht, wie sehr sie ihre Freundinnen aus der Heimstraße vermisste. Sie fand es seltsam, dass die meisten von ihnen nun ebenfalls in der Türkei waren, aber ferner, als sie es in Deutschland sein könnten.
Zusammen ist die Familie mit dem Bus nach Istanbul gefahren und vom Busbahnhof mit dem Taxi zum Flughafen, so wie es ihnen mittlerweile normal erscheint.
Doch der Angestellte am Schalter sieht sich lange und ausführlich die Ausweise an, immer wieder blickt er auf Ceyda und sagt dann zu Fuat:
– Deine Tochter kann nicht mitfliegen, ihre Aufenthaltserlaubnis ist abgelaufen.
– Bitte?, sagt Fuat, als hätte er es nicht verstanden.
– Die Aufenthaltserlaubnis von Ceyda Yolcu ist abgelaufen, sie kann nicht nach Deutschland.
Noch während der Mann spricht, merkt Gül, wie sich der Klang der Worte entfernt, als käme er auf einmal von weit her. |84| Als würde sie nicht mehr richtig hören können. Aber noch ist keine Panik in ihr. Gewieft muss man sein, sagt Fuat doch immer, er wird seine Tochter schon durchbringen wie die Whiskyflaschen.
– Können wir sie nicht einfach mitnehmen und das dann dort klären? Sie ist ja noch ein Kind.
– Großer Bruder, sagt der jüngere Mann respektvoll, Sie kommen von dort, Sie müssten es doch wissen. Das läuft alles nach Regeln, da kann man nicht einfach mal schauen. Ich darf ihr keine Bordkarte ausstellen.
– Und wenn Sie es doch tun würden? Vielleicht haben Sie ja einfach etwas übersehen, könnte sein, oder?
– Dann würde der Zollbeamte es bemerken.
– Wir können sicherlich eine Lösung dafür finden, glauben Sie nicht?
Der Mann schüttelt den Kopf, bedauernd und endgültig.
Fuat sieht nun Gül an. Wenn er auch mal so ratlos aussehen würde, wenn er kaum mehr weiß, wie man einen Fuß vor den anderen setzt.
– Bleib du doch mit dem Kind hier.
– Es steht mir ja nicht zu, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen, sagt der freundliche Angestellte, aber dann würden gleich drei Flüge verfallen. Die Kleine – er schaut noch mal auf die Dokumente vor ihm – Ceren. Ceren ist im Pass ihrer Mutter miteingetragen. Dann müsste sie auch hierbleiben.
– Was schaust du mich so an?, sagt Fuat nun zu Gül. Kann ich was dafür, dass du dich nicht darum gekümmert hast, wann ihre Aufenthaltserlaubnis abläuft?
Obwohl auch der Klang ihrer eigenen Stimme wie von weit her kommt, merkt Gül, wie fest und entschlossen sie klingt, als sie sich Fuats Ohr nähert, damit der Angestellte sie nicht hören kann.
– Du bleibst hier mit dem Kind, sagt sie, und wenn es dich |85| den Job kostet. Du bleibst mit diesem Kind hier, wir werden es nicht mehr alleinelassen, das habe ich ihr versprochen, und das werde ich auch halten.
Fuat nickt zu Güls Überraschung.
– Wir werden einen Weg finden, sagt er.
Gül und Ceren bekommen ihre Bordkarten und gehen durch die Passkontrolle in den Wartesaal. Ich werde mich um alles kümmern, hat Fuat versprochen.
Gül kann keinen Gedanken in ihrem Kopf entdecken, als sie im Warteraum danach sucht. Ceren sitzt brav neben ihr und stellt keine Fragen, doch vielleicht wäre es Gül lieber, sie würde reden, etwas wissen wollen. Dann würde Gül diese Leere in Worte kleiden müssen, dann würde sie vielleicht selber begreifen, was gerade geschehen ist. Einen Grund finden, eine Schuld und etwas Zeit, um zu begreifen, warum man nicht mehr Zeit hat für so eine Entscheidung.
Kurz darauf, so kommt es Gül in ihrer Starre vor, sitzen sie im Flugzeug. Gül weiß nicht, wo die Wartezeit hin ist, Ceren hat den Fensterplatz, Gül sitzt daneben, und ohne etwas zu betrachten, schaut sie abwesend in den Gang. Auf einmal sieht sie Fuat. Nur Fuat.
Ihr wird heiß, als hätte jemand eine glühende Decke über sie gelegt, eine Decke aus Blei, die sie niederdrückt. Sie hat das Gefühl zu fallen, und nun kommt auch die Panik wie jemand, der noch gefehlt hat. Nun passiert etwas, das der Leere von vorhin Gewicht gibt.
– Wo ist Ceyda?, fragt Gül.
Ihre
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