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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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geht in die Küche, dort gibt es in dem grünen Holzschrank mit dem Drahtgitter Baklava. Ein ganzes Jahr hat sie keine Baklava gegessen. Woher sollte sie so etwas in Deutschland auch bekommen? Und was soll schon falsch daran sein, |81| Baklava zu essen? Sie schmecken gut, sie schmecken so süß, wie auch Trost schmecken würde, und so süß, wie Rache niemals sein kann.
    Das Leben kommt nur in uns, weil wir einen Mund haben. In diesen hat Gott den Atem eingehaucht, durch ihn nehmen wir Kraft auf, um weiterhin atmen zu können.
    Sie kippt sich ja keinen Alkohol hinein und vergisst dann vollständig, wer sie ist und in welche Richtung sich die Welt dreht, sie nimmt ja kein Gift zu sich, das ihren Atem stinken lässt und sie zu einem Tier macht, das nicht weiter denken kann als bis zwischen die Beine und dabei auch noch vergisst, was es schön findet und was nicht.
    Doch Fuat nutzt die Ferien nicht nur, um noch mehr zu trinken, er kauft in diesem Jahr ein Grundstück, eine unbebaute Parzelle in der Stadt, ausreichend für ein Haus, das größer wäre als das in der Heimstraße, aber keinen Garten hätte, doch die Häuser in der Stadt haben hier alle keinen Garten. Dafür haben die Menschen Sommerhäuser direkt vor der Stadt, Sommerhäuser mit riesigen Obstgärten.
    Fuat kann das Grundstück nicht sofort bezahlen, also einigt er sich mit dem Eigentümer darauf, ihm zunächst die Hälfte in bar zu geben und ihm den Rest baldmöglichst zukommen zu lassen. Gül hofft, dass Fuat nicht große Summen verspielt, solange sie hier sind, oder dass es der Verkäufer zumindest nicht erfährt. Wie kann ein Mann mit Schulden spielen, es wäre ja geradezu so, als würde er fremdes Geld verwetten. Ein Mann kann sich nur dem Glücksspiel hingeben, wenn er selbst verdientes Geld verschleudert, hat auch Güls Vater immer gesagt.
    Auch trinken sollte man nicht auf Pump, sondern nur, wenn man es sich im Schweiße seines Angesichts verdient hat. Doch Fuat hat einen eigenen Kopf, er trinkt den Whisky, den er zollfrei gekauft hat, gleich vier Flaschen mehr, als er durfte, doch die Zollbeamten sind froh, wenn sie mit einem |82| kleinen Taschengeld nach Hause gehen. Auch an seine Freunde schenkt er großzügig aus, zockt und genießt die Folgenlosigkeit seiner Lust. Seit er Gül diese Antibabypillen mitgebracht hat, ist eine Last von seinen Schultern gewichen. Und wenn ihr jetzt noch die Last von den Hüften weichen würde …
    Fuat mag glücklich sein in diesen Tagen, die Dinge nehmen eine Richtung, als würde das Glück in die Nähe rücken. Man bewegt sich vorwärts, und wo soll das Glück sonst sein, wenn nicht da vorne?
    Für Gül ist es gerade hier und nicht irgendwo da vorne. Sie sieht ihre Geschwister, es gibt Gespräche, mit ihrem Vater kann sie wieder jeden Tag reden, wie sie es früher als Jungverheiratete getan hatte, ihre Töchter, die tagsüber mit anderen Kindern durch die Gärten der Sommerhäuser stromern, sind bei ihr. Ihr Leben erscheint ihr reich. Die Nachbarn hören ihr zu, wenn sie von Deutschland erzählt, und in ihren Erzählungen scheint es ihr selber schöner, als sie es sieht, wenn sie wirklich dort ist, aber sie weiß auch nicht, wie sie es anders erzählen könnte.
    Ceyda sieht ihre alten Freundinnen, wacht eifersüchtig über ihre Puppe, und Ceren fragt auf dem Weg zu den Sommerhäusern immer, welche denn die Straße ist, die nach Hause führt, so als wären alle nicht asphaltierten Wege miteinander verbunden. Ihre ältere Schwester lacht zwar darüber, aber nachts träumt sie von einer Abkürzung, die von der Heimstraße direkt in das Sommerhaus ihres Opas führt. Ihre Freude über diese Entdeckung ist jedes Mal so groß, dass sie aufwacht. Nacht für Nacht, den ganzen Sommer lang, hat sie diesen Traum, so kommt es ihr zumindest vor, und Nacht für Nacht findet sie sich in einer enttäuschenden Realität wieder.
     
    Zwei Jahre sind nach diesen Träumen vergangen, Träumen, die wie umgekehrte Alpträume waren, Ceyda wachte nicht |83| auf und war erleichtert, sondern die Realität erdrückte sie, sobald sie die Augen öffnete. In den übernächsten Sommerferien verbringt Ceyda eine Nacht in dem Haus eines Istanbuler Polizisten, ohne auch nur eine Minute zu schlafen. Gül ist in Deutschland und fragt sich in der Dunkelheit, ob sie sich besser fühlen würde, wenn sie Fuat, der neben ihr schläft, erwürgt.
    Es ging alles so schnell. Nicht nur die sechs Wochen, die sie in diesem Jahr wieder in der Türkei verbrachten,

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