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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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Löhne garantieren müssen, sondern lass uns die Maschinen dorthin bringen. Scheiß auf den Staat und scheiß auf die billigen Arbeitskräfte hier. Schau mal, was wir nun für Gewinne einfahren. So läuft das. Wir werden hier alle noch unseren Arbeitsplatz verlieren.
    Fuat hingegen sagt:
    – Deutschland ist ein starkes Land, hier leben fleißige Menschen, ehrgeizig und pflichtbewusst. Nur weil sie jetzt einen Teil der Produktion ins Ausland verlagern, wird nicht gleich die Fabrik zugemacht. Diese Fabrik hat zwei Weltkriege überlebt, es gibt sie seit über hundert Jahren, wieso sollte sie jetzt auf einmal, wo es allen gutgeht, schließen müssen? Und selbst wenn, wer arbeiten will, für den gibt es Arbeit. Es ist nicht wie in der Türkei. Und erst mal gibt es sowieso Arbeitslosengeld.
    Auch Gül kann sich nicht vorstellen, dass die Fabrik schließt. So viele Jahre hat sie nun dort gearbeitet, so viele Schichten dort verbracht, dass sie es sich einfach nicht ausmalen kann, dass diese Gebäude mal leerstehen sollen.
    Nachdem eine Zeitlang Leute entlassen worden sind, scheint wieder Ruhe einzukehren, Gül ist entspannt, die Arbeit wird leichter und angenehmer, weil alle, die nicht ordentlich oder gründlich gearbeitet haben, nun zu Hause bleiben.
    Gül fühlt sich bestätigt. Man braucht die Arbeit nicht zu fliehen, man darf nicht zagen, man macht einfach eins nach dem anderen, gewissenhaft, ohne auf das Ende zu blicken, ohne liederlich zu werden, dann kommt das Ende wie von selbst und mit dem Ende der Frieden.
    Man darf keine Angst vor Arbeit haben, so viel hat sie schon geschafft und noch viel mehr kann sie. Gül vertraut ihren Kräften und empfindet es als Belohnung für ihre Arbeit, dass sie bleiben kann.
    |168| Sie bleibt bis zum Schluss. Auch wenn immer mehr Leute entlassen wurden, Gül hat nicht gehört auf die Gerüchte, sie hat einfach stur weitergearbeitet und nicht an das gedacht, was sie nicht glauben konnte, weil es nicht vorstellbar war. Selbst als eines Tages verkündet wird, dass die Fabrik schließt, hat Gül noch Hoffnung, es könne wie durch ein Wunder alles so bleiben, wie es ist.
    An dem ersten Montag, an dem sie nicht arbeiten muss, steht sie auf, macht Frühstück, verabschiedet Ceren zur Schule und Ceyda zur Berufsschule und sitzt dann mit Fuat, der etwas später aufgestanden ist, in der Küche. Schweigend frühstückt er, während Gül immer noch versucht zu verstehen, wie sich das Leben so von einem Tag auf den anderen komplett ändern kann.
    Nach seiner Zigarette zieht Fuat seine Jacke an, und Gül fragt:
    – Wohin?
    – Ins Kaffeehaus.
    Gül sieht ihn erstaunt an. Auch wenn er gerne spielt, er gehört nicht zu den Männern, die man ständig im Kaffeehaus antreffen kann, Tee trinkend, rauchend vor einem Backgammonbrett oder mit Karten in der Hand. Eine Stunde mag er Vergnügen daran finden oder zwei, aber dann will er um Geld spielen und trinken. Und getrunken wird im Kaffeehaus nicht.
    – Ich höre mich mal um, sagt Fuat, ich kann nicht den ganzen Tag zu Hause rumsitzen, ein paar Wochen Arbeitslosengeld ist ganz gut, aber ich brauche Arbeit und wenn ich schwarz noch etwas nebenher verdiene. Mein Hintern ist nicht zum Sitzen geschaffen.
    Erst zum Abendessen ist er wieder zu Hause, er riecht nach Bier. Gül hat das Haus aufgeräumt, geputzt, sie hat Wäsche gewaschen, mit Saniye telefoniert, gestrickt, dabei den Fernseher laufen lassen, sie hat gekocht, und da Ceren bei Gesine war, hat sie Ceyda von der Arbeit abgeholt. Auf Ceydas Lippen ist |169| häufiger ein Lächeln als zu Schulzeiten, die Arbeit scheint ihr zu gefallen. Nur an Tagen wie heute, an denen sie Berufsschule hat, ist sie schon beim Frühstück schlecht gelaunt.
    Als Fuat abends kommt, ist der Tisch bereits gedeckt. Gül glaubt sein Grinsen komme vom Alkohol, doch als Ceyda nach dem Essen abräumt, sagt er zu seiner Tochter:
    – Dann mach mir doch zur Feier des Tages so einen schönen, süßen Mokka. Und dazu rauche ich eine Zigarette, die so schmeckt, dass meine Lungen glauben werden, es sei ein Feiertag. Niemand soll mich faul nennen. Gewieft muss man auf dieser Welt sein. Ein wenig gewieft. Ihr dürft mir gratulieren: Ich habe eine neue Arbeit.
    – Wirklich?, fragt Gül, und fast gleichzeitig möchte Ceyda wissen:
    – Hast du schon unterschrieben?
    – Und nicht irgendwo, sagt Fuat, ohne auf die beiden einzugehen, sondern bei der Königsmarke der Automobile, dort, wo Qualität und Leistung zählen, Zuverlässigkeit und

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