Heimstrasse 52
dann lacht das Geld. Ich sage dir – der Mann senkt die Stimme etwas –, wir müssten auch in dieses Geschäft einsteigen. Ich kenne jemanden. Da liegt Reichtum, nicht im Schichtdienst.
– Es ist bestimmt eine Strafe, in Spanien Straßenbahn zu fahren, sagt die Frau mit dem Kopftuch, das geht da den ganzen Tag so, ohne Punkt und Komma.
– Wir waren nur einmal in Mallorca, dort gibt es keine Bahnen, aber laut ist es trotzdem.
Nach all den Jahren kann Gül immer noch nicht gut Deutsch. Zwar versteht sie das meiste, aber wenn sie sprechen |165| muss, wird sie schnell unsicher und ihr fallen die Worte nicht ein. Nicht ein einziges Mal hat sie länger als fünf Minuten hintereinander Deutsch gesprochen. Wo auch, wie auch.
Ich habe keine Gabe dazu, tröstet sie sich, wenn ich ein kontaktfreudiger Mensch wäre und nicht so zurückhaltend, wäre es sicherlich anders. Dann würde ich reden wie Saniye, ohne Hemmungen, ohne Angst, Fehler zu machen. Aber so bin ich eben nicht. Ich kann mir nicht mal merken, was ich schon weiß.
Die beiden Frauen vor ihr haben offensichtlich noch weniger Talent für Sprachen, für die klingt alles gleich, was nicht Deutsch ist. Gül kann Spanier, Italiener, Griechen und Jugoslawen erkennen, wenn sie sie hört. Auch wenn die meisten von ihnen längst in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, vielleicht weil die wirtschaftliche Lage dort mittlerweile besser ist, vielleicht weil die Sehnsucht zu groß wurde, vielleicht weil sie wissen, dass man sich bescheiden muss.
Diese Frauen sollten ihrem Gott danken, dass sie in ihrem Land bleiben konnten, wo es genug Arbeit gibt, denkt Gül, dass sie nicht ausziehen mussten, um zu erfahren, wie schwer es ist, eine fremde Sprache zu lernen.
An der nächsten Haltestelle muss sie aussteigen und steht nun hinter den beiden Männern, die inzwischen leiser reden. Wenn man zusammenlegen würde, könnte man in drei, vier Monaten schon dicke Gewinne einfahren. Opium und Heroin, das könnte man fast mit Gold aufwiegen.
Auch ich sollte dankbar sein, denkt Gül, dankbar für einen Mann, der seine Fehler haben mag, doch sosehr er auch von Reichtum träumt, er würde sich nie in die Gesetzlosigkeit begeben. Er würde nicht waten in diesem Sumpf und seine Familie mit hineinziehen, er würde nicht Ärger und Kummer über alle bringen und in Kauf nehmen, dass seine Töchter ihn nur an Besuchstagen sehen dürfen. Er mag seine Fehler haben, aber er ist aufrecht, was das angeht.
|166| Gül geht in den Laden, den Saniye ihr empfohlen hat, weil es dort Baklava gibt, die angeblich so schmeckt wie frisch aus Antep. All die Menschen auf den Straßen, die Bahnen, die Busse, Bremens Gewusel irritiert und beunruhigt Gül, sie fragt sich, ob es ihr jemals möglich sein wird, in so einer Stadt entspannt durch die Straßen zu gehen.
Jahre später wird sie in Bremen wohnen, und da erst wird sie sagen:
– Jeder Mensch kann alles tun, man sollte nie zu überzeugt von sich sein, man sollte immer Zweifel haben. Ich dachte, ich könnte nie Spionin werden, Diebin oder eine Prostituierte. Heute weiß ich, dass jeder Mensch alles sein kann, das Leben kann dich in Sackgassen drängen, die du nicht mal ahnen konntest. Man darf nie sagen: Das würde mir nicht passieren.
Gül sagt nicht: Siehst du. Oder: Das geschieht dir recht. Oder: Das hätte ich dir gleich sagen können. Sie denkt es nicht mal, diese Art der Genugtuung ist ihr fremd.
Doch es wundert sie auch nicht, dass Mevlüde entlassen wird. Mevlüde, die den Satz: Ach, das ist doch nur eine Kleinigkeit, das fällt denen gar nicht auf, wie einen Kaugummi in ihrem Mund geführt hat. Mevlüde, die fast nie die Rollen der Wagen gesäubert hat. Die zwar ihre Arbeit gemacht hat, aber nie zufrieden war, ständig geflucht hat auf die Arbeit, die Fabrik, die Deutschen, auf Serter, die Wolle, die Schafe, die Fremde, die Ausbeuter. Mevlüde, die es geschafft hat, ihr Haus in der Heimstraße mit Unzufriedenheit zu füllen.
Doch nicht nur in Güls Abteilung werden Leute entlassen.
Yılmaz sagt:
– So macht der Kapitalist das, zuerst sagt er dem Staat: Hier ist Aufschwung, wir brauchen mehr Arbeitskräfte, lasst uns Leute von draußen holen, dann werden wir alle reich. Nur nicht die Leute von draußen, aber das sagt der Kapitalist nicht, das weiß der Staat auch so. Dann sagt der Kapitalist: |167| Schau mal da vorne, da arbeiten Leute für noch weniger Geld. Aber lass uns diesmal nicht die Leute hierherholen, wo wir ihnen andere
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