Heimstrasse 52
Langlebigkeit. Bei der Marke, deren Name auf der ganzen Welt berühmt ist.
Er schaut herausfordernd in die Runde, doch keine der Frauen sagt etwas.
– Mercedes!, sagt er.
– Hast du schon unterschrieben?, wiederholt Ceren nun die Frage ihrer Schwester.
– Nein, sagt Fuat, nein, aber dem steht nichts mehr im Wege, ich habe die Stelle so gut wie sicher, ich war in Bremen heute, bei Mercedes im Büro.
Seine Brust ist so geschwollen vor Stolz, dass es an diesem Abend viele Whisky-Cola braucht, bis die Schultern nach vorne sinken und die Spannung aus seinem Körper weicht.
Gül hat geglaubt, sie würde die Tage kaum füllen können, wenn sie nicht mehr arbeitet, doch sie wundert sich, wie sie |170| alles geschafft hat, als sie noch in die Fabrik ging. Sie redet etwas länger mit ihren Nachbarn, sie beschäftigt sich etwas mehr mit ihren Handarbeiten. Fuat hat ihr eine elektrische Nähmaschine gekauft, und sie näht den Mädchen Kleider, sie strickt ihrem Mann Pullover, und am Ende des Tages war sie kaum eine halbe Stunde ohne Beschäftigung. Sie hat keine Arbeit mehr, doch sie sitzt nicht tatenlos zu Hause herum, und es geschieht selten, dass sie den neuen Fernseher einschaltet, den Fuat gekauft hat, in Farbe und mit Fernbedienung.
Gül kümmert sich um den Garten, pflanzt Zucchini und Kürbisse, Gurken und Tomaten, Bohnen und Peperoni. Auch wenn die Erde sich unter ihren Händen anders anfühlt als damals, auch wenn sie anders riecht und eine andere Farbe hat, auch wenn das Licht anders ist und die Sonne ihren Rücken nicht immer wärmen kann, diese Stunden erinnern sie an ihre Kindheit und an den großen Maulbeerbaum im Garten des Sommerhauses. Sie lassen den Geruch des Schmieds wieder lebendig werden, wenn er im Garten gearbeitet hatte oder im Stall. Sie denkt daran, wie ihr Vater sie einmal in einen fremden Obstgarten mitgenommen hat, wie er sie dort allein gelassen hat, ohne zu ahnen, dass sie sich fürchtete. Wie erleichtert war sie damals, ihn wieder zu umarmen und den Schweiß am Kragen seines Hemdes zu riechen, als er endlich zurückkam.
Gül geht es gut ohne die Arbeit, und dieser Frühling vergeht schnell. So schnell, wie die Zeit vergeht, wenn man erst hinterher merkt, dass man glücklich war.
Fuat ist stolz auf seine Arbeit und fährt jeden Tag mit seinem Auto nach Bremen und zurück, verdient sogar etwas mehr als vorher, kauft einen noch moderneren Fernseher, einen Jahreswagen von Mercedes und ein neues Mofa, weil er das sicherer findet, wenn er betrunken fährt.
Es ist eine gute Zeit in der Heimstraße 52, Ceyda ist froh über ihre Entscheidung, Friseurin zu werden, Ceren bringt |171| Gesine immer öfter mit nach Hause, da sie sich tagsüber nicht mehr das Zimmer mit ihrer Schwester teilen muss. Die Sorgen verblassen, die bitteren Sätze und geschrienen Worte, die es auch gibt, verbittern nicht tagelang, die Missklänge erzeugen kaum Echo.
Erst als alle in dem fast neuen Wagen sitzen, der zu Fuats Unmut wieder voll beladen ist, und Richtung Anatolien losfahren, als alle eng beieinander sind und die Hitze und die endlosen Straßen und Staus unerträglich werden, bekommen Harmonie, Glück und Wohlklang Risse, erst als sie wieder im Blech gefangen sind, hallen die harschen Worte nach, und die Strahlen der Sonne können die Gemüter nicht besänftigen. Doch selbst da spürt Gül die letzten Monate in sich nachklingen und lächelt still in sich hinein, darauf bedacht, diese sanfte Heiterkeit vor Fuat zu verstecken, um ihn nicht zu reizen.
Der Sommer, die Zeit zwischen den Autofahrten, vergeht in jenem Jahr noch schneller als der Frühling in der Heimstraße, er ist vorbei, noch ehe man
schön
denken kann, und auch für die Dauer der Rückfahrt bewahrt Gül ihr inneres Lächeln. Sie hat erneut zugenommen in den letzten Monaten, ihr Bauch wackelt mit jedem Lachen, das so klingt, als könne es alle Dunkelheit vertreiben.
Ceyda und Ceren werden später oft von diesem Sommer erzählen, ohne richtig zu begreifen, warum er noch schöner war als all die anderen, warum die Sonne heller schien, ihr Opa sie häufiger herzte, das Lachen lauter schallte und selbst die traurigen Lieder fröhlicher klangen in einer Sprache, in der Trauer und Sommer nur einen Buchstaben voneinander entfernt sind.
Die Melancholie hatte auf einmal eine heitere Note, während sonst selbst die sonnigsten Stücke noch einen Schatten von Schwermut hatten.
Du hast mein Herz gemolken, bis meine Knie nachgegeben haben, sangen die
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