Heimstrasse 52
doch die Hauptdarsteller dieser Filme tragen keine ausländischen Namen mehr, sie heißen Kemal Sunal, Orhan Gencebay, Tarık Akan, Hülya Koçyigit, Yılmaz Güney, Müjde Ar, Türkan Şoray, Cüneyt Arkın, Ferdi Tayfur, İbrahim Tatlıses.
Filme, in denen ein berühmter Sänger einen Musiker spielt, |177| der im Gefängnis sitzt und einer Sängerin Stücke schickt, die er für sie komponiert hat, Stücke, die eine Sehnsucht spiegeln, wie man sie nur hinter solchen Mauern spüren kann, Stücke, die klagen, dass einem das Herz mit jedem Tag schwerer wird, so dass Fuat gleich noch mal nachschenkt.
Was bleibt uns schon auf der Welt, es ist Abend geworden, du bist so weit von der Heimat, was sollst du sonst tun außer trinken? Wie könnte das eine Sünde sein? Die, die trinken, sterben, aber leben die anderen etwa ewig? Steck dir noch eine an und zieh den Rauch tief ein, damit er sich von innen auf die Melancholie legen kann.
Filme, die von der glorreichen Eroberung von Byzanz erzählen und in denen nur Christen zu Gräueltaten fähig sind. Filme, in denen die Frau bei der Geburt stirbt und der Mann durch ein Leben zahlloser Schmerzen muss, nur weil er seiner Tochter etwas Glück bescheren möchte. Filme, in denen sich der Sohn des Bauern in die Tochter des Großgrundbesitzers verliebt, Filme, die von Blutrache handeln oder in denen jemand über Nacht im Gefängnis ergraut.
Filme mit Geschichten, die wohlbekannt scheinen, Filme, in denen sich ein Mann und eine Frau unsterblich ineinander verlieben, doch ihre Familien tragen seit Generationen eine blutige Fehde gegeneinander aus. Anders als in den meisten amerikanischen Filmen ist Liebe hier nicht die Antwort. Sie baut keine Brücken und überwindet keine Schluchten, sie führt nicht dazu, dass es einem am Ende des Films ganz warm ums Herz wird. Sie führt zu noch mehr Toten, noch mehr Leid und noch weniger Hoffnung. Hier ist Liebe kein romantisches Ideal, sondern eine Narretei, die die Menschen erfasst und sie unbarmherzig Richtung Tod schleift, weil sie es wagen, gegen die Gesetze und Traditionen zu verstoßen. Filme, bei denen die Helden am Ende sterben, ihr Blut sich mit dem Staub der Straße mischt und die Hinterbliebenen ahnen, dass dieser Schmerz nie richtig verblassen wird.
|178| Gül sieht einen Film, in dem eine junge Frau wegen eines Verbrechens, das sie nicht begangen hat, zum Tode verurteilt wird und vor Gericht die ganze Zeit schweigt. Noch nie hat ihr jemand zugehört, noch nie hat ihr jemand geglaubt oder gar an sie geglaubt. Liebe, das ist ein Lied, das ihr Großvater für sie gesungen hat, als sie noch klein war, eine ferne Erinnerung, der Klang einer brüchigen Stimme, die schief singt. Alles andere sind nur Worte ohne Gefühle dahinter, so wie das ganze Gebrabbel vor Gericht. Sie sieht keinen Ausweg und hält den Mund.
Und wem würde man schon glauben, einem Dienstmädchen, das unzählige Male vergewaltigt wurde, ohne sich zu wehren, oder den reichen Herrschaften?
Gül sitzt vor dem Fernseher und versteht, versteht, wie sie selbst als kleines Mädchen den anatolischen Blues verstanden hat. Natürlich kann man die Wahrheit sagen, natürlich kann man aufrecht sein und ein reines Herz haben, aber was zählt das schon und was ändert das? Was zählt das vor Menschen in Roben, die glauben richten zu können. Die Belohnung einer guten Tat ist die gute Tat. Man darf nach nichts trachten in dieser Welt, die einem nichts schenkt.
Doch es gibt auch Komödien, in denen zum Beispiel ein von Rheuma geplagter Mann Regen vorhersagen kann und so zu einem Dorfheiligen wird, von allen verehrt und gefürchtet.
All diese Filme erzählen Ceyda und Ceren genauso viel über das Land ihrer Eltern, wie die amerikanischen Filme damals Gül und Fuat über die Vereinigten Staaten erzählt hatten. Filme, die nicht nur eine andere Welt sind, sondern aussehen wie etwas, was man tatsächlich betreten könnte. Ein Ort, an dem das eigene Herz Frieden finden wird, trotz aller Widrigkeiten.
So wie die Schwestern die Kassette des Sommers beschwingt wieder und wieder hören, schauen sie Filme unzählige Male an, Liebesfilme, in denen gesungen wird und |179| Menschen sich verlieben, als würden sie von einem Felsen erschlagen werden.
Auch Gesine schaut sich zusammen mit Ceren einige dieser Filme an, man muss die Worte nicht verstehen, um zu begreifen, worum es geht, doch ihr ist es zu mühselig und zu langweilig, sich zwei oder drei hintereinander anzusehen.
Ceren versucht
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