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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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keine Wahl hast.
Du bist ein Karnivore und kannst nicht anders. Ich bin aber ein Allesfresser
und kann mich entscheiden.«
    »Dann musst du mich aber nicht zu einem Lebewesen zweiter Klasse
erklären.«
    »Das tu ich nicht.«
    »Du hast mir die Maus geklaut und mich beschimpft.«
    »Das tut mir ja leid. Ich hätte es gern gleich wieder
zurückgenommen.«
    »Was tut dir leid, das mit der Maus oder das mit dem unsympathisch?«
    »Das mit der Maus nicht, das würde ich wieder tun, das Zweite tut
mir leid. Und es hat auch nur für den Augenblick gestimmt. Du bist mir nicht
unsympathisch. Im Gegenteil, ich bin total begeistert von dir.«
    »Wieso denn das jetzt?«
    »Du sprichst, du bist wunderschön, du bist eine coole Katze, wie man
sie sich nicht cooler erträumen kann, du bist zärtlich, wenn du dich in meinen
Arm kringelst, du hast mir die Haare gewaschen, mir geht’s gut, wenn du da
bist.«
    »Du bist verliebt.«
    »Ja.«
    »Das ist ja süß.«
    Sie hatte einen Moment aufgehört, sich zu putzen, und sah mich
forschend an. Jedenfalls hielt ich ihren Blick für forschend. Ich schaute zurück.
Ich schaute einfach nur.
    »Aber das Wesentliche sagst du nicht.« Sie putzte sich wieder
weiter, als sei das die einzig richtige gesprächsbegleitende Maßnahme.
    »Was wäre das?«
    »Ich erinnere dich an die, die du noch immer so vermisst.«
    Sie sah mich gnädigerweise nicht an. Ich hätte ihrem Blick jetzt
nirgendwohin ausweichen können. Ich wusste ja, sie kannte diesen Knopf bei mir
schon – sie hatte ihn nun schon zum dritten Mal gedrückt. Sie benahm sich wie
eine Psychotante, die unbedingt meine verdrängten Traumata aufarbeiten will.
Ich wollte das aber nicht. Ich habe nichts gegen das Verdrängen. Es hilft.
    »Heul ruhig«, sagte sie, ohne mich anzusehen, »das ist okay.«
    Ich trat sie nicht vom Badewannenrand, aber ich hätte gute Lust dazu
gehabt. Stattdessen spürte ich tatsächlich, dass mir die Tränen das Gesicht
herunterliefen, und es kam mir auf einmal ganz logisch vor. Heulen in der Badewanne
war irgendwie passend. Man fügt dem lauwarmen Wasser ein paar heiße Tränen hinzu.
     
    ˜
     
    Als ich mich rasiert hatte, Zähne geputzt, mich angezogen
und die Badewanne ausgespült, lag sie längst wieder auf dem Sofa, lang wie ein
Baguette diesmal, und sie schlief wieder tief und fest.
    Dachte ich, war aber nicht so, denn auf einmal hörte ich sie sagen:
»Der Fisch war gut. Nur das Zeug außenrum nicht.«
    »Soll ich den wieder kaufen? Und beim nächsten Mal das Zeug
abkratzen?«
    »Unbedingt«, sagte sie, »aber Thunfisch geht auch.«
    »Heute Abend?«
    »Feste Verabredung mit einer Katze. Das ist keine hochglänzende
Idee. Eher speziell.«
    »Dann sag halt mal provisorisch Ja«, schlug ich vor.
    »Provisorisch ja«, sagte sie. Und gähnte. Und schlief weiter.
    Ich schlich mittlerweile um den Laptop herum, den ich immerhin schon
mal auf den Tisch gelegt hatte. Eigentlich wollte ich ihn nicht aufklappen. Einen
Tag mehr konnte ich mir doch noch gestatten. Einen Tag mehr Frieden und Katze
und Nachbarin mit geraden Augenbrauen, Spaziergang in der Sonne, herrliches
Brot von einem echten Bäcker, Bienengesumm, Urlaubsgefühl, Kopf im Sand.
    Wenn man schon weiß, dass nur schlechte Nachrichten auf einen
warten, muss man sich doch nicht auch noch hetzen, um sie abzuholen. Den
Verleger hatte ich abgeschrieben, von dem konnte nichts Gutes mehr kommen. Auf
die Trostmails meiner Freunde konnte ich auch verzichten. Einen Artikel zu
meiner Ehrenrettung würde keiner von ihnen schreiben, oder, falls doch, dann
würde keine Zeitung ihn drucken. Ich war kein großer Name, an mir konnte man
nichts exemplarisch debattieren, ich war nur eine kleine Meldung im Sommerloch,
dummerweise über dpa verteilt und deshalb in jeder zweiten Tageszeitung
abgedruckt – ein bisschen Tratsch, eine peinliche kleine Betrügerei, über die
man am nächsten und übernächsten Abend auf irgendeiner Branchenparty den Kopf
schütteln, die Augenbrauen hochziehen und sagen konnte: »Dass der das nötig
hat, der ist doch ganz gut im Geschäft?« Und dann wandte man sich wieder den
wichtigeren Dingen zu, dem Büfett, der eigenen Herrlichkeit, den Urlaubsplänen.
Vielleicht gab man noch zum Besten, der Verlag habe nicht mit genügender
Sorgfalt ediert, und dann war gut, das Thema war durch. Und ich hatte meinen
Stempel weg in der Branche. Den Rest der Welt interessierte es nicht, aber der
Betrieb würde von jetzt an einen Namenszusatz für mich

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