Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
an
der Kränkung. Am liebsten hätte ich Isso hinterhergerufen, es sei nicht so
gemeint gewesen, aber das war so unehrlich wie unnütz. Ich hatte es in diesem
Moment so gemeint, und sie würde mich längst nicht mehr hören oder, falls doch,
mein zerknirschtes Betteln um ihre Gnade ignorieren. So sind die Regeln.
Zwischen Mensch und Katze wie zwischen Mann und Frau.
˜
Den ganzen nächsten Tag bekam ich sie nicht zu Gesicht.
Anfangs versuchte ich, mir nichts draus zu machen, redete mir ein, sie würde
schon wieder auftauchen, aber je mehr ich versuchte, mir Selbstvorwürfe auszureden,
desto jämmerlicher wurde mir zumute, weil ich sie mit meiner unbedachten
Äußerung vertrieben hatte.
Am Nachmittag im Supermarkt studierte ich die Tiefkühltruhe, als
ginge es um eine Verführung, ich suchte den besten Fisch, aber ich kannte mich
nicht mehr aus, denn Isso hatte recht, ich bin ein Grasfresser. Mein Sohn war
fünf gewesen, als er mir mitteilte, er werde nie wieder ein Tier essen, und ich
war es irgendwann leid geworden, jeden Tag zwei verschiedene Mahlzeiten zu
kochen.
Schließlich nahm ich Schlemmerfilet à la
Bordelaise , da konnte ich die Panade abkratzen, falls Isso kein Gekrümel
außenherum wollte. Es war wie eine Beschwörung: Ich kaufe Fisch für dich, bitte
komm wieder.
Für mich selbst nahm ich allerlei aus der mediterran dominierten Edelfress-Abteilung:
Oliven, Peperoni, Schafskäse, Radicchio, Rucola und Friséesalat, Tomaten,
Fenchel und eine Avocado. Grasfresserbedarf.
Als ich wieder zum Bungalow kam, war nichts von ihr zu sehen, auch
der Pegel im Wasserschälchen schien nicht abgenommen zu haben. Ich stellte ein
zweites Schälchen vor die Terrassentür und füllte es mit den Brekkies, die ich
ebenfalls mitgebracht hatte, in der Hoffnung, das Geräusch würde sie anlocken.
Das hatte bei meiner Katze Minnie immer funktioniert. Das Brekkiesklappern war
ein sicherer Heimholer gewesen. Jedenfalls meistens. Hier funktionierte es
nicht.
Ich las Zeitung und versuchte später, mit Block und Kugelschreiber
erste Sätze für meinen Essay zu notieren. Alles Begreifen
ist Erzählen, wenn wir etwas verstehen, dann erzählen wir uns seine Bedeutung,
seine Struktur, seine Beschaffenheit … Viel zu kopfig und verzwirbelt.
Und uninteressant. Ich schrieb noch ein paar Versuche und fand sie alle
unbrauchbar. Das lag wohl daran, dass ich keine Idee hatte. Ohne Idee keinen
Essay, sagte ich mir innerlich vor, was nicht gerade zur Hebung meiner Stimmung
beitrug.
Den Laptop hatte ich noch immer nicht aufgeklappt – einen Tag wollte
ich mir noch geben, bevor ich mich auf E -Mails, Anwürfe,
Mitleid und Häme einließe.
Schließlich ging ich spazieren. Denselben Weg wie am Tag zuvor, aber
sie wartete nicht auf dem Holzstoß, kein Gurren ertönte aus dem tiefen Gras,
und kein weiß-grau-schwarz gefleckter Blitz fegte über den Weg. Ich hatte sie
vertrieben.
Wieder zu Hause klappte ich zwar den Laptop auf, aber ich ließ den USB -Stick,
mit dem ich ins Internet gehen konnte, in der Tasche. Ich spielte ein
stumpfsinniges aber süchtig machendes Spiel, bei dem man farbige Kugeln treffen
muss, damit sie herunterfallen. So vergingen fast drei Stunden. Und mein Nacken
fühlte sich an wie ein Stein.
˜
»Jemand zu Hause?«, rief es von der Terrasse. Frau Seelig
stand da, ohne Wein, aber wieder im Gartendress, und diesmal fielen mir ihre eigenartigen
Augenbrauen auf. Ganz gerade. Mit ihrem Gesicht konnte man Werbung für diese
eckigen Brillen machen, die gerade wieder aus der Mode kamen.
»Können Sie ein Geheimnis bewahren?«, fragte sie, aber nur
rhetorisch, denn sie sprach weiter, ohne mein Kopfnicken abzuwarten. »Ich
rauche hier gelegentlich eine verstohlene Zigarette.« Sie holte Schachtel,
Feuerzeug und Aschenbecher vom überdachten Holzstoß neben der Treppe, bot mir
eine an, ich lehnte ab, dann nahm sie sich selbst eine und zündete sie an.
»Das ist eine fast ausgestorbene Geste«, sagte ich, »das Anbieten
von Zigaretten gehörte früher mal zur Höflichkeit, heute ist es so was wie ein
Mordversuch.«
»Ich gehe aber davon aus, dass Sie überleben werden«, sagte sie
lächelnd und nahm einen genussvollen, tiefen Zug, »jedenfalls mittelfristig.«
»Ich auch. Trotzdem hab ich’s aufgegeben«, sagte ich.
»Ich ja auch. Fast.«
»Verbergen Sie es hier vor sich selbst oder vor Ihren Lieben?«
»Beides«, sagte sie, »nur vor mir selbst klappt es nicht so richtig.
Ich krieg’s ja mit, wenn ich
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