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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Zeichen, dass sie dir nicht übel nimmt, dass du sie
alleingelassen hast, oder?« Isso hatte ihre Augen jetzt offen und sah mich an.
    »Ja.«
    »Obwohl ja Liebe nicht direkt eine Katzenkategorie ist. Bei uns ist
es eher so was wie Gernzusammensein.«
    »In dem Fall ist mir egal, wie es heißt, als Menschensache heißt es
eben Liebe.«
    »Lässt sich verbinden«, sagte sie.
    »Übrigens haben bald danach diese Beschützeralbträume angefangen.
Ich war mit Minnie irgendwo in der Stadt oder an der Autobahn oder auf Reisen
und hatte Angst um sie.«
    »Wie kam sie zu dir?«
    »Mein Sohn hatte sie gebracht. Ich sollte auf sie aufpassen, während
er für zwei Wochen in Urlaub fuhr. Er hatte mich nicht vorher gefragt, er stand
einfach da mit dem Katzenkind in der Hand. Sie war winzig, ihr Schwanz war noch
kegelförmig. Ich wollte zuerst ablehnen, weil ich sauer war und mich
überrumpelt fühlte, aber dann hatte er schon die Tür geschlossen, sie auf den
Boden gesetzt, und sie marschierte schnurstracks auf mich zu und sah mich an.
Ich nahm sie auf den Arm und war verliebt. Meinem Sohn gegenüber tat ich noch
verärgert, aber ich war schon hin und weg.«
    »Und dann blieb sie bei dir.«
    »Ja.«
    »Wie lange?«
    »Vierzehn Jahre.«
    »Und dann?«
    »Starb sie.«
    »Erzählst du mir, wie?«
    »Sie war schon abgemagert und trank nicht mehr. Der Tierarzt hatte
mir empfohlen, ihr nur noch Nassfutter zu geben, und ich gab ihr Thunfisch mit
Wasser vermischt. Und beim Essen fiel sie irgendwann mit einem kleinen Schrei
um und lag im Koma. Der Tierarzt sagte, sie habe nur noch Schmerzen vor sich,
wenn wir versuchen würden, sie wieder zurückzuholen, also gab er ihr eine
Spritze, und sie war tot.«
    Isso schwieg. Ich suchte mein Inneres ab nach dem Schmerz, den mir
dieses Bild immer verursacht hatte, aber seltsamerweise war er jetzt, da ich
davon erzählte, viel geringer als sonst, wenn ich nur daran dachte.
    »Ich habe sie in ihrer Lieblingsdecke begraben in einer Wiese in der
Nachbarschaft, habe Stiefmütterchen draufgepflanzt und bin, solang ich dort
noch wohnte, fast jeden Abend zum Grab gegangen. Dann bin ich nach Berlin gezogen.
Dort hätte es Minnie nicht gefallen.«
    Isso schwieg.
    »Und mir gefällt es auch nicht wirklich. Seit sie tot ist, fehlt ein
Stück von mir. Ich kann es nicht besser ausdrücken.«
    »Ist gut genug so«, sagte Isso.
     
    ˜
     
    Ich starrte auf meine Notizen, weil mir die einvernehmliche
Stille zwischen Isso und mir so zerbrechlich vorkam, dass ich sie nicht mit
allzu deutlicher Aufmerksamkeit stören wollte. Ich tat so, als würde ich lesen,
aber ich saß nur da und horchte meinen eigenen Worten hinterher. Isso lag noch
immer so galeerig da.
    »Schläfst du?«, fragte ich sie irgendwann.
    »Ja«, sagte sie.
     
    ˜
     
    Eine Autotür schlug zu, und dann klingelte es bei mir. Ich
rechnete mit Frau Seelig, aber es war ein Mann in blauem Kittel, der
behauptete, der Schornsteinfeger zu sein. Ich ließ ihn rein, und er fand ohne
mein Zutun den Heizraum, wo er zwar nicht den Schornstein fegte, aber die
Therme mit einem Messgerät auf ihre Emissionen überprüfte. Tee wollte er
keinen.
    »Gehen Sie auch zur Prozession?«, fragte er.
    »Was für eine Prozession? Wann?«
    »Nachher um halb sieben. Wir feiern das Fest unserer Stadtheiligen.
Das geht übers ganze Wochenende, und heut Abend fängt’s an.«
    Als er sein Werkzeug wieder zusammengepackt hatte und ins Auto
brachte, sagte er noch: »Ich muss mich beeilen, ich spiel bei der Musik mit.
Sie sind heut mein letzter Kunde.«
    Dann kurvte er mit Schwung und einem kleinen Winken vom Vorplatz und
rumpelte in einer stilechten Staubwolke davon. Ich hatte nicht mal was
unterschrieben.
    Isso war natürlich wieder verschwunden. Ihr lag offenbar daran, aus
unserem Zusammensein ein Geheimnis zu machen. Wieso eigentlich? Dachte sie,
jemand verpetzt uns? Und wenn?
    Der Schornsteinfeger war nicht schwarz gekleidet gewesen, hatte
keinen Zylinder getragen und auch keine Bürsten an langem Drahtseil über der
Schulter hängen, aber er kam mir trotzdem vor wie die passende Märchenfigur zu
dieser Bilderbuchwelt. Passierte hier auch mal was Böses?
    Vielleicht lag ich doch im Koma auf irgendeiner Berliner
Intensivstation und vertrieb mir die Zeit mit Träumen von einer konspirativen
Katze und lauter netten Menschen, die heute Abend eine bunte Prozession
veranstalten und mir allesamt fröhlich zuwinken würden. Vielleicht war es auch
kein Koma, sondern ein besonders

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