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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Wissen nicht im Städtchen weitergeben konnten.
    Nach ein paar Schwimmzügen sah ich aus dem Augenwinkel eine
Bewegung. Isso war auf den Umkleidefelsen gesprungen und machte es sich auf
meinen Kleidern bequem.
    »Ich war zufällig in der Gegend«, sagte sie.
    Ich sagte nichts. Was soll man auf solch eine Floskel schon
erwidern.
    »Du siehst aus wie ein ziemlich großer Frosch«, sagte sie.
    »Nicht dein Beuteschema, oder?«
    »Zum Frühsport eventuell.«
    »Kannst du eigentlich schwimmen?«
    »Vielleicht in der Not«, sagte sie, »ich will’s nicht ausprobieren.«
    »Es ist toll.«
    »Wer’s mag.«
    Sie saß wieder da wie die Sphinx. Ich schluckte meine bewundernde
Bemerkung, ich nahm an, mit dem Begriff Schönheit finge sie nichts an. Das war
sicher keine Katzenkategorie.
    Sie sah aus, als wäre sie meine Leibwächterin. Ich wurde beschützt
von ihr. So wie man sich als Kind auf dem Spielplatz von einer strickenden oder
tratschenden Mama beschützt wusste, wenn sie nur in der Nähe war, ob sie hersah
oder nicht, spielte keine Rolle. Isso würde jeden Braunbären oder Förster in
die Flucht schlagen, sie würde jeden Übergriff auf ihren Spezialfrosch unterbinden.
    Eine Weile ließ ich mich noch auf dem Rücken treiben, bewegte mich
nur eben so viel, dass ich nicht unterging, dann schwamm ich zum Ufer und stieg
aus dem Wasser. Als ich das Handtuch vom Umkleidefelsen nehmen wollte, machte
sie keine Anstalten, sich zu bewegen. Sie blieb drauf sitzen.
    »Versuch’s doch«, sagte sie, als ich vorsichtig nach dem Tuch
tastete, und schon hatte sie meine Hand mit Krallen und Zähnen gepackt und
strampelte mit den Hinterpfoten dagegen, als wolle sie mir die Haut abziehen.
Ich musste lachen, obwohl es wirklich wehtat, und nahm meine andere Hand, um
sie auf dem Kopf zu kraulen, während sie sich mit energischem Spaßgrimm an mir
zu schaffen machte.
    »Ich könnte dich ins Wasser schmeißen«, sagte ich.
    Darauf ließ sie von mir ab und war mit einem Satz am Waldrand, wo
sie sich wieder einmal putzte, als müsse jeder heftigeren Bewegung gleich die
entsprechende Hygienemaßnahme folgen. Ich blutete an den Stellen, die sie in
der Mache gehabt hatte. Ich sah schon ziemlich ausgefranst aus.
    Sie trabte voraus, verschwand nach rechts und links, tauchte an
anderer Stelle wieder auf, strich einmal schnell um meine Knöchel und rannte
dann mit pferdchenartigen Sprüngen drauflos. Diesmal sah ich mich am Waldrand
um, ob nicht irgendwo ein Menschenkopf über die Reben ragte, der auf einen Hund
hindeuten konnte, aber es war niemand zu sehen.
    Sie schlenderte ein Stückchen weit neben mir her.
    »Bei Fuß«, sagte ich.
    »Sehr witzig.«
    Wir gingen fast denselben Weg wie am Morgen. Ich sicherte noch mal
extra rechts und links, als wir den Wirtschaftsweg erreicht hatten – kein Hund,
die Luft war rein – sie war mit zwei Sprüngen drüber und verschwand im Tabakfeld.
Auf der anderen Seite wartete sie auf mich und ging wieder durch die
benachbarte Reihe von Tabakpflanzen im gleichen Tempo mit mir.
    »Erinnerst du dich, dass du sagtest, seit deine Minnie tot ist,
fehlt ein Stück von dir?«
    »Ja«, sagte ich, »wieso?«
    »Das stimmt.«
    »Was meinst du, dass ein Stück fehlt?«
    »Ja.«
    »Ist das jetzt wieder deine abenteuerliche Theorie über die drei
Leben? Bin ich eines von Minnies drei Leben? Willst du das damit sagen?«
    »Das ist keine Theorie, das ist ein Wissen.«
    »Und was wäre dann mein drittes Leben? Minnie und ich, das sind nur
zwei – es fehlt noch eins.«
    »Gib doch zu, dass dir der Gedanke gefällt, anstatt dich mühsam
drüber lustig zu machen. Es klappt sowieso nicht.«
    »Weil Lachen nichts für Katzen ist, ich weiß.«
    »Humor aber schon.«
    Jetzt schwirrte mir wieder der Kopf. Sie hatte es wieder mal
geschafft, mich durcheinanderzubringen.
    »Welche anderen Leben hast du denn?«
    »Darüber kann ich nicht sprechen«, sagte sie.
    »Und wieso nicht?«
    »Weil ich die Worte und die Gedanken dazu alle in deinem Kopf finden
müsste, aber da ist nichts Brauchbares. Du hast keine spirituelle Ader.«
    »Das ist eine Ausrede«, sagte ich, »du willst einfach nicht davon
erzählen.«
    »Könnte auch sein«, sagte sie.
     
    ˜
     
    Ich machte mir einen Linsensalat mit Frühlingszwiebeln und
glatter Petersilie, schnitt experimentell noch schmale Streifen Radicchio dazu
und garnierte das Ganze mit Artischockenherzen aus dem Glas und halbierten
Pflaumentomaten. Die Radieschen hätten auch noch dazu gepasst, aber die

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