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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Ovals und schob es an den Tellerrand. Sie fraß gierig. Ihr
Schwanz machte abwechselnd ein Fragezeichen und ein Lineal. Sie trat von einer
Pfote auf die andere.
    »Gut?«, fragte ich.
    Keine Antwort.
    Ich versuchte, weiterzuessen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl,
sie zu stören, also wartete ich, bis sie das Stück Ei vom Teller gezerrt hatte
und direkt vom Tisch aß.
    »Wenn uns jemand sieht, dann bin ich verschrien«, sagte ich.
    »Als was denn?«
    »Hygieneversager vielleicht?«
    »Quatsch. Katzen sind die saubersten Tiere der Welt.«
    »Da hast du eigentlich recht.«
    »Eigentlich?«
    »Da hast du recht.«
    Das Eigelb war weggefegt, auf der Tischplatte nur noch ein Fleck.
Ich hatte vorsorglich das zweite nicht angerührt und schnitt es jetzt
unaufgefordert heraus, schob es ihr wieder an den Tellerrand, von wo sie es
erneut auf den Tisch zog.
    »Hast gute Manieren«, sagte sie und machte sich darüber her.
    Das Essen schmeckte mir. Auch ohne Eigelb. Und mein Groll war
vergessen. Ich dachte nicht mehr an den Rufmord, der mich noch eben wieder so
sehr in Panik versetzt hatte, dass es mir schwergefallen war, den Laptop nicht
anzurühren und das neuere Internetgeschwätz über mich zu ignorieren.
    Isso saß jetzt auf dem Stuhl und putzte sich.
    »Schön, dass du da bist«, sagte ich.
    »Bin übrigens eine Frau«, sagte sie.
    Den zärtlichen Unsinn, den ich normalerweise absondern würde, konnte
ich hier nicht anbringen. Da sie redete, kam es nicht infrage, in ständiger
Wiederholung ihre Schönheit zu preisen oder ihr reihenweise niedliche Namen zu
geben, sie mit melodischen Wortsüßigkeiten zu verwöhnen und mit einem Gurren
oder Maunzen als Antwort zufrieden zu sein. So kam paradoxerweise verlegenes
Schweigen auf, nur deshalb, weil wir richtig reden konnten.
    »Was gibt’s morgen?«, fragte sie.
    »Worauf hast du denn Lust?«
    »Fisch.«
    »Muss ich aber erst holen. Ich habe nur vegetarische Sachen
eingekauft.«
    »Maus geht immer«, sagte sie gnädig. »Musst nicht extra einkaufen
gehen für mich.«
    »Mach ich aber. Ich freu mich, dass du mein Gast bist.«
    »Gleichfalls.«
    »Du freust dich, dass ich dein Gast bin?«
    »Hahaha«, sagte sie, »jetzt willst du auch Humor haben. Es klappt
aber nicht so toll, klingt ein bisschen rechthaberisch und kleinlich.«
    »Und das klingt jetzt ein bisschen unnötig übertrieben ätzend«, fand
ich und stellte fest, dass ich tatsächlich beleidigt war.
    Sie schaute mich an. Ernst und aufmerksam, fast so, als wolle sie
mich etwas fragen. Ich wartete. Schließlich sagte sie nur: »Miau.«
    Dann sprang sie vom Stuhl, trabte lässig um die Ecke, und weg war
sie. Da hatte ich wohl eine eher komplizierte Katze aufgetan. Aber Fisch würde
ich morgen auf jeden Fall kaufen.
     
    ˜
     
    Seit ich hier war, hatte ich es geschafft, das Internet
links liegen zu lassen, meine E-Mail und sogar das Handy zu ignorieren. Es
juckte mich zwar immer wieder, aber zumindest an diesem Abend würde ich noch
durchhalten. Morgen Vormittag vielleicht, dachte ich, oder morgen Nachmittag.
Irgendwann musste ich es tun, aber ich würde danach deprimiert sein und mich
weder auf den Essay noch auf die schöne Umgebung hier einlassen können.
    Jetzt redeten Leute über mich, die noch keine einzige Zeile von mir
kannten. Und jetzt hatten sie auch einen Grund, diesen Mangel niemals mehr zu
beheben. Ich war ja unseriös. Ein Plagiator. Komisch, eigentlich hatte ich
gedacht, mein Ruf wäre mir egal, ein quasi anonymer Sachbuchautor kann sich
keine Eitelkeit erlauben, zumindest wäre er nicht sehr intelligent, wenn er’s
dennoch täte – Sachbücher verkaufen sich über ihr Thema, nicht über ihren Autor
(wenn er nicht gerade ein Fernsehstar oder Politiker ist), aber jetzt wurde mir
klar, dass das nicht stimmte. Das bisschen Renommee, das ich mir bis dato hatte
einbilden können, war so ziemlich die einzige Belohnung, die meine Arbeit
abwarf. Und ich arbeitete mich krumm, um überhaupt über die Runden zu kommen.
Wenn ich nichts Biografisches oder Filmhistorisches schrieb, dann übersetzte
ich aus dem amerikanischen Englisch. Die Honorare waren armselig, die
Vorschüsse miserabel, ich lebte wie ein Student und musste mich ständig um Folgeprojekte
kümmern, damit der mickrige Geldfluss nicht ganz versiegte.
    Als ich im Diener, unserem Stammlokal am Savignyplatz, von der einstweiligen
Verfügung erzählt hatte, waren mir das Mitleid und die Bewunderung in den Augen
meiner Freunde unerträglich gewesen. Ohne

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