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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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stand, das
heißt, ich sah nur ihren Hintern und den emporgereckten Schwanz, der Rest von
ihr war in der Kloschüssel zugange.
    »Trinkst du aus dem Klo?«
    »Ja. Hab Durst.«
    »Aber das ist doch eklig.«
    »Ist es natürlich nicht. Schmeckt fast so gut wie Pfütze.«
    »Aus einer Pfütze würde ich auch nicht freiwillig trinken.«
    »Du nicht«, sagte sie, »du bist keine Katze.«
    »Und was ist, wenn du da reinrutschst? Dann steckst du kopfüber im
Klo.«
    »Passiert mir nicht.«
    Ich ließ mich wieder ins Wasser zurücksinken und hörte, wie sie noch
ein paar Schlucke nahm und dann vom Klo heruntersprang. Es klang nach
Medizinball, nicht nach Katze. So federleicht, wie sie auf den Tisch geflogen
war, um sich mein Eigelb zu holen, so wuchtig donnerte sie jetzt abwärts, als
könne sie ihr Gewicht der Richtung entsprechend verändern.
    Sie flog auf den Badewannenrand. Und putzte sich. Sie hatte mir den
Rücken zugedreht, und hätte ich keine Ahnung von Katzen gehabt, dann wäre mir
ihre Haltung so vorgekommen, als ignoriere sie mich, aber ich sah ihre Ohren,
die nach hinten, in meine Richtung, zuckten, wenn ich eine Bewegung machte,
nach dem Weinglas griff oder es abstellte.
    »Schön, dass du da bist«, sagte ich.
    Sie sagte nichts. Sie putzte sich.
     
    ˜
     
    Die Badewanne war leer, die Trostflasche fast, ich nahm
meine Kleider und ging ins Schlafzimmer. Die Terrassentür ließ ich offen, das
Fenster neben meinem Bett öffnete ich noch zusätzlich, damit die Nachtluft
einen Weg hatte. Und damit Isso zwei Wege hatte.
    Ich zog die dünne Bettdecke so über mich, dass sie meine Hüften
bedeckte – alles andere blieb an der Luft. Isso war mit mir gekommen, hatte
sich ganz selbstverständlich mit einem Sprung und Gurren vor mein Gesicht
gestellt, stupste mich dann mit ihrem Schnäuzchen an, leckte einmal über meine
Nasenspitze und kringelte sich in meinen Arm. Wie ein Teddybär. Sie schnurrte.
Ich schlief ein. Nicht ohne ihr vorher noch ein paar Komplimente gemacht zu
haben, die sie nicht kommentierte, jedenfalls nicht verbal, sie bohrte mir nur
ihre Krallen in den Arm zum Zeichen ihrer Zustimmung. Kurz bevor ich weg war,
ging mir durch den Kopf, dass ich doch eigentlich fortgelaufen war, aber es
fühlte sich an, als wäre ich nach Hause gekommen.
     
    ˜
     
    Ich kannte diese Geräusche. Ein Rumpeln, ein sehr hohes
Fiepsen, fast unhörbar, der Galopp von Issos Pfoten und das Knallen ihres Körpers,
der auf etwas Hartes, einen Stuhl, den Türrahmen oder Bettpfosten traf. Ich
machte Licht. Und holte im Bad ein kleines Handtuch. Und warf mich, zurück im
Schlafzimmer, mitsamt dem Handtuch auf die Maus, als sie gerade panisch an der
Bodenleiste entlangrannte.
    Weil ich Erfahrung hatte, erwischte ich sie beim ersten Wurf. Ein
Glück, denn unters Bett oder hinters Regal wäre ich nicht gekommen. Ich vermied
es, Isso anzuschauen, aber ich hörte ihre Stimme: »Spinnst du?«
    »Das kommt nicht infrage«, sagte ich, »Mäuse umbringen und essen ist
das eine, Mäuse foltern ist das andere. Und das ist in meiner Gegenwart nicht
drin.«
    »Du spinnst. Eindeutig«, sagte sie.
    Ich ging mit dem Handtuchknäuel nach draußen und entließ die Maus am
Rand der Terrasse ins bodendeckende Grün. Sie redete nicht mit mir. Sie flitzte
nur unter den Cotoneaster oder wie auch immer das hieß, was da wuchs. Also war
ich nicht der heilige Franz.
    Als ich mich umdrehte, saß Isso an der Terrassentür und sagte: »Die
hol ich mir wieder.«
    »Dann bring sie um, und iss sie auf«, sagte ich, »dieses Quälen ist
grauenhaft.«
    »Was bist du? Ein Grasfresser?«
    »Ich will einfach nur nicht, dass du die Maus quälst. Sie tut mir
leid.«
    »Du hast sie nicht mehr alle«, sagte sie. »Die Maus schmeckt besser,
wenn sie Sport getrieben hat.«
    »Es ist grausig«, sagte ich, »du wirst mir unsympathisch, wenn du so
was machst.«
    »Na dann«, sagte sie, »will ich dich nicht weiter belästigen.« Und
sie ging um die Ecke und war verschwunden.
    Und mir wurde bewusst, dass ich nackt auf der Terrasse stand, zwar
nicht vom Mond beleuchtet, der noch hinterm Hügel war, aber aus dem Haus drang
Licht und machte mich weithin sichtbar. Wenn jetzt ein schlafloser Nachbar
hersah, konnte er sich empören.
    Soll er, dachte ich und ging rein.
    Und fühlte mich schlecht. Ein falscher Satz, und die Harmonie war
dahin. So wie vor langer Zeit mit meiner Frau. Ein unüberlegtes Wort von mir,
sie schwieg, und wir litten beide. Ich an meinem schlechten Gewissen, sie

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