Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
war. Eine in über zwanzig Jahren entwickelte Symbiose verband die beiden.
»Was ist passiert?« fragte sie, stand auf und ließ für Laurenti eine Tasse Kaffee aus der Maschine, die sie irgendwann einmal gemeinsam angeschafft hatten.
Laurenti fluchte: »Was für ein elender Tag.« Er ging, ohne den Kopf zu wenden, weiter in sein Büro. »Man kann darauf wetten: Fängt ein Tag beschissen an, dann geht er auch beschissen weiter.« Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, Marietta stellte den Kaffee auf seinen Schreibtisch und setzte sich ihm gegenüber.
Er rang sich ein kleines Dankeschön ab und versuchte freundlich zu lächeln.
»Bemüh dich nicht«, sagte Marietta, »erzähl lieber, was los ist.«
Und Proteo Laurenti erzählte, daß sie schlecht geschlafen hatten, daß Laura eine neue Wohnung suchen wolle, daß er um halb fünf Uhr bereits an die Costiera gerufen worden war und der Tag schon fast gerettet schien, als er auf dem Rückweg bei Miramare schwimmen gegangen war.
»Gegen acht kam ich nach Hause. Laura war schon weg. Die Kinder schliefen noch. Dachte ich mir. Sie sind ja im Sommer immer die ganze Nacht unterwegs, haben Ferien, und schlafen morgens lang. Ich meine Livia und Marco. Patrizia Isabella ist in Grado bei der ›Julia Felix‹. Also machte ich Kaffee, hörte Radio und las den ›Piccolo‹, um dann ins Büro zu fahren. Doch was muß ich in diesem elenden Blatt sehen? Diese unselige, minderbemittelte Kreatur von meiner ältesten Tochter bewirbt sich für die Wahl der ›Miss Triest‹! Meine Tochter! Stell dir vor, Marietta«, er schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Kaffeetasse sprang und klirrte. Marietta schaute ihn erschrocken an. »Stell dir vor, du schlägst die Zeitung auf, siehst einen ganzseitigen Artikel über diese blödsinnige Veranstaltung, und findest in der Liste der Kandidatinnen auch noch den Namen deiner Tochter! Vor Schreck, nein, vor Entsetzen verschütte ich den Kaffee, ruiniere Hemd und Hose, und als ich sie zur Rede stellen will, sehe ich, daß ihr Bett unberührt ist und sie in der Nacht gar nicht zu Hause war.«
Marietta mußte grinsen, was Laurentis Wut nur noch steigerte. »Ich weiß wirklich nicht, was es da zu lachen gibt. Denkst dir wahrscheinlich, was ich für ein verkalktes konservatives Arschloch bin. Nein, Marietta, ich frag mich allen Ernstes, ob die ganze Erziehung eigentlich für die Katz war! Auch Marco war nicht zu Hause. Er ist ja noch nicht mal siebzehn. Dann versuche ich Laura zu erreichen, aber sie hat das Telefonino ausgeschaltet. Die Mutter meiner Kinder ist nicht einmal im Notfall erreichbar! Und umziehen will sie auch schon wieder. Schaut sich wahrscheinlich Wohnungen an, als mache sie sich Sorgen, daß die Makler nichts zu fressen hätten. Kannst du jetzt verstehen, was los ist?«
Marietta schüttelte den Kopf. »Beruhige dich, Proteo. Du redest Unsinn! Du hast schlecht geschlafen und machst mir eine Szene, als wär ich deine Familie. Aber es ist besser, du läßt bei mir Dampf ab, als bei Laura oder Livia. Die würden dich auslachen. Livia ist einundzwanzig, Proteo, einundzwanzig! Seit drei Jahren volljährig, hat das beste Abitur der Klasse gemacht, ist so schön, daß man daran zweifeln könnte, ob du wirklich ihr Vater bist. Sie ist eine intelligente junge Frau! Die kann machen, was sie will! Die ganze Zeit prahlst du herum, wie stolz du auf deine Kinder bist, und dann knallst du wegen so was durch? Und Marco? Das ist doch nicht das erste Mal, daß er bei Freunden schläft. Du übertreibst wirklich, und außerdem bist du ganz weiß im Gesicht vor Ärger.«
»Ich weiß auch nicht«, sagte er. »So geht’s auf jeden Fall nicht. Aber was soll’s auch, nicht einmal du verstehst mich.«
»Da gibt es wahrlich Schlimmeres!«
»Wenigstens auf Patrizia Isabella ist Verlaß«, sagte Proteo mit einem Seufzen. »Die nutzt ihre Ferien und macht was Ordentliches.«
Marietta kannte Proteo und seine Launen seit einer kleinen Ewigkeit. Sie wußte, daß Patrizia Isabella, die Zweitgeborene, sein Liebling war.
»Täusch dich mal nicht, Proteo, alle Kinder werden älter, und deine Patrizia tut auch Dinge, die sie dir nicht erzählt.«
Laurenti schrak auf. »Was willst du damit sagen?«
»Es ist doch so! Schlimm, wenn es anders wäre!« Marietta lächelte.
»Wie? Was weißt du, was ich nicht weiß?«
»Nichts, Proteo …«
»Ach, ich hätte dir das alles gar nicht erzählen sollen! Es hat keinen Sinn, darüber zu reden. Außerdem sind wir nicht
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