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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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an den Mädchen vorbeifuhren und im Halteverbot anhielten, um sie einsteigen zu lassen. Noch stärkere Personenkontrollen von Damen und Freiern, um damit lediglich zu erreichen, daß sich das »Problem« vielleicht kurzzeitig an einen anderen Platz verlagerte. Zuvor würde er durch zwei Beamte eine Bestandsaufnahme machen lassen, sie müßten mit Fotos und Berichten das Ausmaß der Prostitution dokumentieren, und wahrscheinlich würde er den Bericht stark dramatisieren. Nach vierzehn Tagen Kontrollterror das gleiche noch mal, dann ein Bericht vor dem Questore, dem Polizeipräsidenten und dem Präfekten, und am Ende ein Vorher-nachher-Lichtbildervortrag vor dem Stadtrat. Und dann warten, daß es Herbst würde, die Bürger wieder bei geschlossenen Fenstern schliefen und das Blut nicht mehr so heftig aufwallte. Nach einigen Wochen wäre die Szene natürlich wieder da, und aus Sicherheitsaspekten war es sowieso besser, sie an diesem überschaubaren Ort zu wissen.
    Proteo Laurenti wollte aber auch mit Rossana Di Matteo, der Chefin des Lokalteils der Zeitung, besprechen, wie man sich des Übels dieser überzogenen Berichte, die der Saubermann aus Padanien schrieb, entledigen konnte. Mit Rossana war er gut befreundet. Laurenti griff zum Telefon, als Marietta hereinkam.
    »De Kopfersberg gilt als vermißt. Sgubin hat mit seiner Lebensgefährtin gesprochen. Er hat offensichtlich vor zwei Tagen die Stadt mit dem Schiff verlassen und sich seither nicht mehr gemeldet. Man hat ihn für gestern Abend zurückerwartet. Die Hafenkommandantur berichtet, daß er am Montag gegen zehn Uhr ablegte und auslief. Mehr wissen sie noch nicht. Der Bericht von Sgubin kommt gegen Mittag.«
    »Hast du die Akte angefordert?« fragte Laurenti.
    »Das dauert leider«, sagte Marietta und hob die Schultern. »Frühestens am späten Nachmittag.«
     
    Ettore Orlando reichte mit seiner Stimme knapp an Pavarotti heran und übertraf ihn beinahe in der Statur. Er war über zwei Meter groß und einiges über hundert Kilo schwer. Der dicht gewachsene, schwarze Vollbart gab ihm die Anmutung eines Seebärs. In seiner Laufbahn hatte Orlando schon des öfteren bewiesen, daß er über einen besonderen Instinkt verfügte, und damit kontinuierlich Karriere gemacht. Wie Proteo Laurenti in Salerno aufgewachsen, entschied sich auch Orlando für eine Laufbahn bei den Sicherheitskräften. Vor allem im Süden des Landes war dies ein Beruf mit Zukunft, wenn man überlebte. Die Familien Laurenti und Orlando gehörten dem unteren Mittelstand Salernos an, und es gab nicht viel zu vererben, außer der Lust an Musik und Kunst. Auch verfügten beide Familien nicht über die notwendigen Beziehungen, allen ihren Kindern eine gute Ausbildung, geschweige denn ein Studium zu ermöglichen. Proteo Laurentis ältester Bruder hatte an der Universität in Neapel studiert und war Anwalt geworden, Ettores älterer Bruder studierte in Bologna Ökonomie und wurde einer der führenden Manager bei Olivetti, die anderen älteren Geschwister machten die verschiedensten Ausbildungen bei Banken, Bäckern und Schneidern, und nur Proteo und Ettore entschieden sich für den Staatsdienst. Ettore leistete seinen Militärdienst bei der Marine und diente sich allmählich hoch. Den Kontakt mit Proteo hatte er über lange Jahre verloren, bis sie sich durch Zufall in Triest wiedertrafen. Proteo und Laura hatten längst ihre drei Kinder, als im »Piccolo« die Umbesetzungen bei der Capitaneria gemeldet wurden: Capitano Ettore Orlando aus Salerno sollte der neue Chef der Guardia Costiera an der Riva III Novembre werden, in dem Gebäude mit den klaren Linien, dem ehemaligen Terminal des Wasserflughafens der Linie Turin-Triest-Zara, der unter Mussolini eingeweiht worden war. Und kaum war Ettore in Triest, da saß er schon bei den Laurentis zum Abendessen, und die beiden Männer versuchten in langen Unterhaltungen, die Lücke von über zwanzig Jahren zu schließen. Und jetzt sollten sie beide die Stadt vom Land und vom Meer aus vor den Verbrechern beschützen. Cincin!
    »Ich wollte dich auch schon anrufen«, antwortete Ettore Orlando, nachdem Laurenti mit ihm verbunden wurde. Seine Stimme dröhnte wie üblich im Hörer, so daß Laurenti ihn ein Stück vom Ohr weg hielt. »Wie geht’s den Kindern und deiner schönen Frau?«
    »Ärgern mich alle, erzähl ich dir ein andermal!«
    »Porcamiseria«, dröhnte Orlando, »ich hoffe, es ist nichts Schlimmes. Bleib hart, Alter! Wollen wir uns zum Mittagessen treffen?«

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