Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
wurden um Amtshilfe gebeten. Schmiergelder. Das war raffiniert eingefädelt, und wir haben lange gebraucht, bis wir den Wienern die Beweise liefern konnten. Die Bank war aber nicht aktiv verwickelt. Und Rallo hat einen guten Leumund.«
»Sie glauben doch nicht im Ernst«, sagte der Carabiniere spöttisch, »daß die sich ein zweites Mal der gleichen Konstruktion bedienen?«
»Warum nicht?« Laurenti hielt dem Blick stand. »Zanossi«, sagte er dann, »was würden Sie denken, wenn der Leiter der EAUI heute abend dabei wäre?«
Zanossi schaute ihn fragend an.
»Der Direktor der Behörde, die für die Türkei-Hilfe verantwortlich ist. Ein Doktor Otto Wolferer aus Wien«, half Laurenti nach.
»Interessant«, sagte Zanossi. »Mehr als interessant! Colonello, Sie können das vielleicht nicht wissen. Aber wenn jemand gute Kontakte zu Kreditinstituten hat, gibt er die so schnell nicht auf. Davor wechselt man Firmennamen, Konteninhaber, Zahlungsempfänger usw. Die Bank behält man.«
»Wenn dieser Dr. Wolferer hier ist«, unterbrach der Questore, »und offensichtlich mit all den anderen zu tun hat, dann genügt mir das. Der Verdacht, daß die Türkei-Hilfe gefährdet ist, reicht aus. Wir müssen eingreifen. Da macht auch der Untersuchungsrichter mit.«
16. Juli, 21.10 Uhr,
vor der Sacca degli Scardovi, Podelta
Knapp zehn Seemeilen östlich des Podeltas oder etwa achtzehn Kilometer vor der Küste: Die Ferretti 57 lag mit mittlerer Fahrt von zwanzig Knoten auf Kurs Nordnordost. Bruno de Kopfersberg war zufrieden. Sie waren sich in Rimini schnell einig geworden. Die Russen waren zuvorkommend, aber auch in Not, seitdem die Albaner das Geschäft mit der Prostitution in Europa dominierten und sich mit der italienischen Mafia über die Aufteilung der restlichen Geschäfte geeinigt hatten. Die Italiener blieben die Herrscher über Zigarettenschmuggel und Drogen, im Waffengeschäft waren auch die Albaner tätig. Die Prostitution aber, ob in Deutschland, Frankreich, Skandinavien oder Italien, war fast ausschließlich in den Hoheitsbereich der Albaner übergegangen. Sie waren über die alten Strukturen der europäischen Kriminalität wie die Raubtiere hergefallen und hatten mit ihrer uneingeschränkten Gewaltbereitschaft den etablierten Kartellen innerhalb weniger Jahre wesentliche Teile des Geschäfts abgenommen. »Der Wolf leckt sein eigenes Fleisch, das der Fremden frißt er« – die Konsequenzen dieses albanischen Sprichworts hatten ihre Konkurrenten oft genug kennengelernt. Derzeit herrschte ein Waffenstillstand, von dem niemand wußte, wie lange die neuen Herren sich daran halten würden. Vor allem die Russen hatten in Westeuropa Probleme: Sie behielten zwar die Côte d'Azur und Rimini, ihre Ware aber bekamen sie von den Albanern oder von Detailhändlern wie Bruno de Kopfersberg, die abseits der großen Linien unbehelligt ihr Geschäft betreiben konnten. Wie in der freien Wirtschaft bietet auch die globalisierte Kriminalität Nischen, in denen neben den Konzernen kleine Spezialisten gut leben können.
Eigentlich war Bruno de Kopfersberg der Handel mit Menschen zuwider, andererseits brachte er viel Geld. So war er zuversichtlich, daß sich sein schon jetzt nicht geringer Reichtum bald beträchtlich mehren würde. Und dann noch das riesige Geschäft mit der Türkei-Hilfe. Da konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Er war in Rimini gegen neunzehn Uhr ausgelaufen und hatte bereits dreiundvierzig Seemeilen hinter sich gebracht. Er würde jetzt noch eine Stunde am Steuer stehen, bis er Venedig und die dortigen Schiffahrtslinien passiert hatte, dann den Autopilot einschalten und unter Deck fernsehen. Gegen Mitternacht würde er in Triest einlaufen.
Er war einen Augenblick nach unten gegangen und hatte sich in der Bordküche eine Flasche Dom Pérignon aus dem Eisschrank geholt, Eiswürfel und Wasser in einen silbernen Kühler gefüllt und mit Serviette und Glas nach oben getragen. Er hatte mit schnellem Blick den Kurs überprüft, den die Yacht unverändert beibehielt, und seinen Blick über das Meer schweifen lassen, um den Schiffsverkehr zu erfassen. Es waren noch ein paar andere Yachten unterwegs. Nicht viele, man konnte sie an den Positionslichtern gut erkennen. Ein Boot, das er schon seit geraumer Zeit beobachtet hatte, schien einen parallelen Kurs zu fahren. Kopfersberg öffnete den Drahtverschluß der Flasche und ließ den Korken ins Meer zischen. Dann goß er sich ein und stellte die Flasche aufs Eis zurück.
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