Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
festhalten, um vom Schaukeln der anfahrenden Transporter nicht herumgeworfen zu werden, obgleich kaum Platz zum Umfallen war. Die Fahrt dauerte nicht lange. Die Türen wurden aufgerissen, kaum daß die Lieferwagen angehalten hatten. Die fünf Männer trieben sie zur Eile und wiesen ihnen einen kleinen Weg, der von der Straße in ein Gebüsch führte. Sie sahen eine schwarze Wasseroberfläche zu ihrer Rechten. Es war ein Tag vor Neumond und stockfinster. Mühsam gingen sie hintereinander auf einem Weg, dessen Untergrund federnd unter ihren Schritten nachgab. Nach zehn Minuten sahen sie nahe am Wasser die Glut von Zigaretten glimmen.
     
    Der Limski zaljev war ein Meeresarm, der fünfzehn Kilometer südlich von Parenzo fjordartig in die istrische Halbinsel einschnitt. Befahrbar war er in großen Teilen nur durch sehr flache Boote. Felder, Wiesen und Gestrüpp führten an seinem Anfang bis ans Ufer, und nur vereinzelt stand ein Bauernhaus in einiger Entfernung vom Wasser. Nahe am Limski zaljev wurde der Boden sumpfig. Ein kleiner Fußweg, über Jahrzehnte ausgetreten, führte von der E 751 zur Rtic Kric, der Landspitze gegenüber Vrsar.
    Zwei hochmotorisierte Schlauchboote hatten in der Dämmerung den kleinen Hafen Parenzos verlassen und suchten wenig später im Kanal den Weg um die Muschelzuchten herum. Gegenüber dem Weiler Sveti Mihovil hatten sie an einem alten Steg zwischen Gestrüpp festgemacht. Auf jedem Boot waren zwei Männer. Dunkel gekleidet, breitschultrig, groß. Ihre kurz geschnittenen Haare betonten die Sehnen und Muskelstränge am Hals. In der Dunkelheit sah man sie zuerst nur schemenhaft und erkannte dann die Glut ihrer Zigaretten. Im Boot hatte jeder von ihnen eine dunkelblaue, wattierte Weste liegen, denn trotz des heißen Wetters konnte es bei anhaltend hohem Tempo auf See frisch werden. Ihre Boote waren nachtblau lackiert, die Kennzeichen mit schwarzer Folie überklebt, die schnell abzureißen war. Zwei Außenbordmotoren mit über sechshundert PS trieben diese flachen und wendigen Boote auf eine Geschwindigkeit von zweiundvierzig Knoten. Das Steuer befand sich etwa zwei Meter vor dem Heck, die weiteren acht Meter bis zum Bug waren drei Meter breit und leer. Sie boten auf jedem der beiden Schlauchboote Platz für zwanzig aneinandergedrängte Menschen, die sich an den Leinen, die von Bordwand zu Bordwand gespannt waren, festhalten mußten, wenn das Boot hart über die Wellen jagte.
    Neun junge Frauen, keine über zwanzig Jahre alt, deren Figuren bei den vier Männern in den Schlauchbooten aufgeregtes Geflüster und derbe Sprüche auslösten, waren kurz nach dreiundzwanzig Uhr auf den Steg geführt worden. Jede trug eine Handtasche und eine kleine Reisetasche. Man hatte ihnen befohlen, sich dunkel zu kleiden. Kopftücher verhüllten so gut es ging ihre blondierten Haare. Nur an die Schuhe hatte man nicht gedacht. Wer hohe Absätze trug, mußte sie ausziehen. Die Männer hatten ihnen befohlen, sich auf einem der beiden Boote auf den Boden zu setzen. Als sie ihnen dabei halfen, wurden sie zudringlich. Aber die Mädchen achteten nicht darauf, flüsterten untereinander in verschiedenen slawischen Sprachen. Als eine rauchen wollte, herrschte einer der Männer sie an. Er selbst rauchte. Ihnen war es verboten. Schweigend mußten sie warten.
    Ein Mann, der vorausgegangen war, hatte der Gruppe zu verstehen gegeben, daß sie warten müßte. Dann war er wieder in der Dunkelheit verschwunden, aber man hörte eine aufgeregte Unterhaltung. Als der Mann zurückkam, rief er seine Kumpane zu sich. Flüsternd wies er auf die Boote und auf die fünfunddreißig Illegalen. Zwei Männer zogen russische Armeepistolen hervor, die sie unter ihren Jacken verborgen hatten. Dann wurde der Befehl gegeben, daß die Gruppe weitergehen sollte, hinunter zu den Booten. Als sie an dem Anführer vorbeikamen, wurden sie eindringlich gemustert. Vier von ihnen, die er herausgesucht hatte, befahl er, an seiner Seite stehen zu bleiben. Den Kranken, der Fieber hatte, stark schwitzte und sich nur mühsam auf den Beinen halten konnte, ließ er gehen. Mit ihm hätten sie nur unnötige Probleme, wenn sie ihn nicht bald loswurden. Als die letzten vorbeigegangen waren, wollten auch die vier Ausgemusterten zu den Booten gehen. Der Anführer gab ein kurzes, hartes Kommando, und die beiden Männer mit den Pistolen stellten sich ihnen in den Weg. Sie kämen später mit, hatte man ihnen gesagt, morgen oder übermorgen, doch hatten sie dies nicht

Weitere Kostenlose Bücher