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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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auch nicht«, sagte Lilli. »Und macht die Wohnungstür richtig zu!«
     
    Es war noch eine Stunde Zeit, bevor er sich umziehen mußte, um mit seiner Mutter und Marco über Grado, wo Patrizia Isabella auf sie wartete, nach San Daniele zu fahren. Laura und Livia waren schon früh aufgebrochen. Er kaufte die Sonntagsausgabe des »Piccolo« an der Ecke und ging dann ins leere Kommissariat.
    An seinem Schreibtisch blätterte er in der Zeitung, um sich abzulenken, was ihm nicht recht gelang. In einem Gespräch im »Piccolo« stritten der Direktor der Meeresbiologischen Versuchsanstalt des World Wildlife Fund und ein als Haiexperte ausgewiesener Hochseefischer über die Gefährlichkeit des Hais.
    »Die Präsenz des Hais in unseren Gewässern«, argumentierte der Direktor des WWF, »ist ein gutes Zeichen für die Qualität unserer Gewässer, weil er ein Indikator für sauberes Wasser ist. Außerdem ist die Gefahr begrenzt. Wirklich gefährliche Vorkommnisse sind hier nie bekannt geworden, auch weil in warmen Gewässern, wie den unsrigen, die Freßlust der Haie merklich abnimmt. Den Badenden rate ich, sich nicht allzu weit hinaus zu bewegen, aber sie können ruhig weiter schwimmen gehen. Wir befinden uns nicht bei Hemingway und nicht in Hollywood, wir sind in Triest.«
    Die Meinung des Hochseefischers, Angel-Weltmeisters und profunden Haikenners, als den der »Piccolo« ihn bezeichnete, war gerade entgegengesetzt.
    »Es ist absolut angebracht, vorsichtig zu sein, weil die Haie sehr oft den Thunfischen folgen, die für sie eine leckere Beute sind, und zu dieser Jahreszeit bewegen sich viele Thunfische in der oberen Adria. Es wäre überhaupt nichts Ungewöhnliches, wenn sich deshalb ein weißer Hai nur wenige Meter vor der Küste aufhielte. Es sind Fische, die sich für einige Wochen sehr still verhalten können, weil sie keinen Hunger haben. Aber in den darauffolgenden vierzehn Tagen verspüren sie sehr dringend die Notwendigkeit zu fressen. Dann brechen sie zur Jagd auf jede Beute auf und sind unersättlich. Auch im Hochsommer führen unsere Gewässer ausreichend Sauerstoff für ihre Anwesenheit.«
    So war aus dem Blauhai also ein weißer Hai geworden. Der »Piccolo« braucht Stoff für die nächsten Tage und Wochen, dachte Laurenti. Er gähnte, legte die Füße auf den Schreibtisch und nickte in einen leichten Dämmer, aus dem er zehn Minuten später wieder erwachte. Er fühlte sich plötzlich frisch und ausgeschlafen. Die Zeitung lag noch immer auf seinem Schoß.
    Parenzo/Triest, 21. Juli, 1999 nach Mitternacht
    Man hatte ihnen gesagt, sie würden gegen halb elf abgeholt. Die Gruppe von fünfunddreißig Personen, vorwiegend Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren, saß im Unterholz bei Lovrec. Niemand sprach, niemand hatte Gepäck. Sie besaßen, was sie auf dem Leib trugen oder unter ihren Kleidern versteckt hatten, ihre Dokumente und vielleicht ein paar Dollar. Das große Geld hatten sie am Morgen abgegeben. Sie hatten Jahre dafür gearbeitet und den Großteil ihres spärlichen Besitzes in der Heimat verkaufen müssen, um die fünftausend Dollar zu beschaffen. Aber sie hatten eine Hoffnung.
    Viele von ihnen waren schon seit Wochen unterwegs, und keiner wußte, wo sie sich befanden. Auf diesem Platz im Wald waren die ersten von ihnen vor drei Tagen eingetroffen. Man hatte ihnen Wasser und einige Lebensmittel dagelassen. Sie hatten auf dem Waldboden geschlafen. Einer hatte hohes Fieber, zwei andere waren von Zecken gebissen worden. In den folgenden Tagen wurde die Gruppe immer größer. Immer wieder kamen Neue zu ihnen auf die Lichtung. Fünf Sprachen waren zu hören gewesen, bis an diesem Abend alle nur noch schweigend darauf warteten, daß es weiterging. Man hatte ihnen gesagt, daß dies die letzte Etappe sei, und sie mußten noch einmal viel Geld bezahlen. Wenn alles gut ginge, dann hätten sich in einigen Stunden die Strapazen und Ängste der letzten Wochen gelohnt.
    Irgendwann sahen sie, daß die Lichter der beiden Lieferwagen gelöscht wurden, die von der Straße auf den Waldweg abgebogen waren, und hörten nur noch das Geräusch der Dieselmotoren. Fünf Männer kamen zu ihnen, einer, der in lautem Befehlston sprach, schien mehr zu sagen zu haben als die anderen. Ihre Sprache verstanden die meisten nicht, wohl aber die Gesten. Sie hasteten zu den Lieferwagen. Eng aneinander gepfercht paßten sie alle auf die Ladeflächen. Die fensterlosen Türen wurden hinter ihnen zugeschlagen, und sie mußten sich aneinander

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